Es gibt Leute, die steigen in ein Flugzeug, setzen sich hin, und kaum sind die Anschnallzeichen nach dem Start erloschen, klappen sie ihre Lehne nach hinten, rollen sich irgendwie ein und fallen augenblicklich in einen tiefen, festen Schlaf. Beneidenswert meinen andere, für die jeder Flug zur Qual wird. Flugangst! Schon beim Buchen im Reisebüro oder zuhause im Internet wird ihnen schlecht. Schweißausbrüche, Zittern am ganzen Leib, Fieber, als würde sich eine schwere Influenza ankündigen. Dieser Kategorie Mensch fehlt jedoch nichts. Sie sind absolut gesund, stabiler Blutdruck, Zucker normal, alle Blutwerte mehrfach gecheckt, wie gesagt, eben gesund, und trotzdem sind sie todkrank, leiden fürchterlich, sind froh, wenn es vorüber ist.

„Wissen Sie“, höre ich den Bediensteten am Check In sagen, „es gibt keine Luftlöcher, glauben Sie es mir.“ Wenig überzeugt greift der Mann in seine rechte Jackentasche, zieht eine Schachtel heraus und entnimmt ihr zwei Pillen, die er kurz entschlossen in den Mund steckt und mit einem kräftigen Schluck aus seiner Colaflasche hinunterspült. „Sicher ist sicher“, sagt er, nimmt sein Handgepäck auf und marschiert Richtung Security.

Stunden mussten mein Kollege und ich auf diesen Anschlussflug am General de Gaulle in Paris warten. Der Flug aus München war pünktlich gewesen, aber aus technischen Gründen, glaube ich, sagte die Fluggesellschaft, war der geplante Weiterflug ausgefallen. Ein schöner Mist. Wir kauften uns im Duty Free eine Flasche guten Highland Whisky und verbrachten die Stunden mit schlauen Reden und einem gelegentlichen Nickerchen. Als es dann endlich soweit war, war die Flasche leer und wir hatten einen sitzen.

Als ich einmal in Miami gelandet bin, ohne Flugangst wohlgemerkt, kam es plötzlich zu einem unheimlichen Ereignis. Todesängste in den Gesichtern mancher Passagiere, einige gelblich verfärbt, andere schon nach Tüten greifend. Unheimlich! Niemand, der noch stand, auch die Stewardessen nicht. Alle sassen in ihre Gurte gepresst. Mit einem ohrenbetäubenden Gejaule sogen die Triebwerke die Luft an und pressten sie mit fürchterlichem Schub nach rückwärts. Mit unwiderstehlicher Gewalt zog das Flugzeug nach oben, und was nicht angebunden oder sonst wie arretiert war, flog nach hinten. Nach einer Weile war dieses Szenario vorüber und diejenigen, die einen Fensterplatz besaßen, konnten die Erklärungen des Kapitäns bildlich mit verfolgen. Während unsere Maschine, das Fahrwerk ausgefahren, schon fast die Landebahn berührte, war ein anderes Flugzeug auf unsere Piste gekreuzt. Unvorstellbar! Entsetzen im Tower, die Flugsicherung machtlos, niemand konnte mehr etwas unternehmen, der Zusammenprall unausweichlich, als der Kapitän unser aller Leben rettete, indem er gerade noch rechtzeitig alle Hebel nach vorne schob und das Flugzeug mit unbändiger Kraft beschleunigte. Es war knapp, sagte der Kapitän, während die Passagiere in tosenden Beifall ausbrachen.

Nach der Sicherheitskontrolle sah ich den Mann mit der Flugangst nur kurz noch einmal im Wartebereich des Fluges nach Kinshasa. Er nickte mir zu und vergrub sich in einem der Stühle. Das Boarding ging routiniert von statten und alle warteten auf den Start. Der übliche Service, Essen, Trinken. Wir hielten uns an Wasser, des Whiskys wegen. Ich weiss nicht mehr, wie lange wir schon unterwegs waren, als wieder ein Essen serviert wurde, in Tabletts, bestückt mit Schalen, die mit Alufolie überzogen waren. Jetzt muss ich vorausschicken, mein Kollege und ich hatten eine Angewohnheit, wir waren immer angeschnallt, außer, es musste mal einer auf die Toilette.

Gerade, als wir dabei waren, die Alufolien abzuziehen, geschah es. Die Maschine verlor urplötzlich an Höhe und zwar in einem Ausmass, dass ich verstehe, wenn Menschen von Luftlöchern sprechen, die es aber gar nicht geben soll. Zusammengeklappt, wie ein Taschenmesser hingen wir über dem Gurt. Der Körper wollte nach oben, aber der Gurt hielt ihn zurück. Passagiere in den Reihen vor uns reißt es aus ihren Sitzen, sie knallten erst gegen die Decke, um anschließend nach unten zu schießen, wobei manche auf die Armlehnen der Sitze prallten oder sich anderweitig, teilweise schwer verletzten. Das Flugzeug fing sich wieder. Essen, Gläser, Tabletts und sonst noch einiges bedeckten den Boden des Flugzeuges. Es sah unbeschreiblich aus. Menschen stöhnten vor Schmerzen. Stewardessn liefen mit Sauerstoffflaschen umher, die sie selber hätten gebrauchen können und versuchten alle einigermaßen zu beruhigen. Aussichtslos. Paradoxerweise waren mein Kollege und ich noch im Besitz des vollen Tabletts, einschliesslich je einer Flasche Wein und Wasser. Zusammengeklappt über den Tabletts konnte nichts davon entweichen. Wir hatten alles mit unseren Körpern festgepinnt. Ich gebe zu, es sah makaber aus, als wir anfingen zu essen, während die anderen mit ihrem Schicksal haderten.

Erlebnisse gibt es viele, wenn du ständig unterwegs bist und das über viele Jahre hinweg. Flugangst habe ich trotzdem niemals bekommen. Auch nicht bei noch so denkwürdigen Versuchen der Kapitäne, ihre Flugzeuge halbwegs sicher auf die Landebahnen zu hieven, während orkanartige Stürme über London Heathrow hinweg fegten.

Wäre es nicht tatsächlich geschehen, hätte ich die Geschichte erfinden müssen. Ich war unterwegs nach Malawi, ein sehr armes, aber auch sehr schönes Land. Ich landete in Lilongwe, der Hauptstadt, mietete einen Wagen und wartete auf Kollegen, die aus anderen Richtungen kommend, dazu stoßen würden. Weil nicht alle von uns einen Anschlussflug nach Blantyre erreichen konnten, hatten wir kurzer Hand beschlossen, die Strecke mit dem Fahrzeug zurück zu legen. Eine gute Gelegenheit, ein wenig vom Land zu sehen, dachten wir. Wir hatten ausgerechnet, die knapp 400 km in gut fünf Stunden zurückzulegen. Normalerweise wäre dies kein Problem und die Zeit reichte sogar noch für zwei kleine Pausen. Bei uns verlief allerdings nichts normal. Hätten wir gewusst, auf was wir uns da eingelassen haben, ich bin sicher, wir hätten gewartet und wären am nächsten Tag mit dem Flugzeug  aufgebrochen. So aber quetschten wir uns nichts ahnend in den Wagen und fuhren los.

Foto von bloody marty unter einer Creative Commons Lizenz