Mein Selbstvertrauen stürzte für Sekunden total ab. Da saßen die Zuckerbarone, die Schattenmänner, und ich mitten drin. Die Männer der Security kamen also hereingestürzt und bedeuteten mir, mitzukommen. Umständlich schälte ich mich aus meinem Stuhl, nach einem Ausweg suchend, aber es gab keinen. „Don’t touch me, fassen Sie mich nicht an“, sagte ich erstaunlich ruhig und mit fester Stimme. „Wer sind Sie denn schon?“, hörte ich mich weiter reden, und dachte, das könne gar nicht ich sein, „Eine Handvoll reicher Männer, die glauben, die Welt gehöre ihnen? Die manipulieren und über Leichen gehen, solange es dem Profit dient? Sie sind es selbst, die alles zerstören, am Ende sich selbst.“ Sekundenlang absolute Stille. Mein Selbstvertrauen pulsierte zurück, überschwemmte mich nahezu. Meine Zuversicht wuchs weiter, als einer der Männer sich plötzlich räusperte und sagte: „Bringt ihn raus und lasst ihn gehen.“

Haben diese paar Worte einen solchen Eindruck hinterlassen? Ich konnte mir das kaum vorstellen und ich sollte leider recht behalten. Ich folgte den Securitymännern zum Aufzug. Einer zog einen Schlüssel, steckte ihn in den Zylinder, eine halbe Drehung nach rechts und der Lift surrte heran. Keiner sagte etwas. Ich stieg ein, drückte auf Lobby, die Türen schlossen und ich schwebte nach unten. Surreal, dachte ich. Da hocken diese Männer da oben und spinnen Dinge aus, die die ganze Menschheit zugrunde richten und ich stehe hier, in der Hotelhalle, soeben noch inmitten dieser Leute, und kann nicht das Geringste unternehmen. Niemand würde mir glauben, wie so auch? Wer war ich denn schon? Verrückte liefen zuhauf durch die Gegend und ich wäre in den Augen anderer, denen ich diese Geschichte erzählte, sicherlich nicht mehr gewesen.

Am nächsten Morgen, ich wollte gerade das Hotel verlassen und mir einen Platz zum Beobachten der Sonnenfinsternis sichern, ich hatte mir sogar eine Spezialbrille hierfür zugelegt, kamen zwei Männer auf mich zu und sagten, ich solle kein Aufsehen erregen und mitkommen. Wenn dich zwei Typen dieser Couleur um etwas bitten, schlägst du es ihnen nicht ab, darauf würde ich jede Wette eingehen. Vor dem Hotel wartete eine dunkle Limousine, in die wir einstiegen. Alle drei hinten, ich in der Mitte. Flucht? Unmöglich, sagte mein logisches Denken. Wir fuhren kreuz und quer durch die Stadt, offensichtlich, um mir jede Orientierung zu nehmen, dann plötzlich erreichten wir ein Villenviertel, stoppten irgendwo und man sagte mir, ich solle aussteigen. Der Wagen rauschte ab und ich stand etwas verloren vor einem Anwesen der obersten Klasse. Gepflegter Park, was sage ich, es war mehr als das. Eine mit dem Lineal gezogene, von filigraner Hand angelegte Architektur aus Bäumen, Sträuchern und Pflanzen jeglicher Art tat sich vor meinen erstaunten Augen auf. Und noch etwas erstaunte mich, ich sah keinen Zaun oder eine Mauer, wohl aber ein schmiedeeisernes Tor, vielleicht an die dreieinhalb Meter hoch. Dieses tat sich plötzlich auf und eine Stimme aus einem unsichtbaren Lautsprecher bat mich, einzutreten. Kaum stand ich jenseits des Tores, schloss sich dieses, wie von Geisterhand getrieben, und ich sah einen Wagen auf mich zukommen, wie ihn Golfplätze verwenden.

Ein livrierter Zeitgenosse lächelte mich freundlich an, ich stieg ein und wir fuhren los. Im Wegfahren erkannte ich noch, warum kein Zaun oder ähnliches zu sehen war. Das Anwesen war von einem dicht bepflanzten Graben eingesäumt und die Umzäunung, tief im Graben verankert, sicher in einer Höhe, wie die des Tores, folgte dem Verlauf des Grabens. Wie früher um die Ritterburgen, aber moderner, der heutigen Zeit angepasst, fuhr es mir durch den Kopf. Wir waren einige Minuten gefahren, als wir das Haus des Anwesens erreichten. Architektur ist nicht meine Sache, aber der Stil erinnerte mich sehr stark an verschiedene Mansions, die ich in England gesehen hatte. Weiter entfernt sah man durch eine Baumgruppe die Dächer weiterer Häuser schimmern. Wahrscheinlich für’s Personal, Gerätschaften und Garagen, dachte ich. Ich stieg aus und sofort tauchte ein weiterer Livrierter auf, der mich bat, ihm zu folgen. Immerhin einer, der sprechen konnte. Ich will mich jetzt an dieser Stelle nicht darin verlieren, welcher Luxus mir im Haus entgegen prallte. Alles vom Feinsten, teuer und erlesen. In einem, mit hellen Möbeln ausgestatteten Zimmer, bat mich der Livrierte, Platz zu nehmen, der Hausherr würde sofort kommen. So war es auch. Nur wenige Sekunden später begrüsste mich ein Afrikaner, seine blendend weißen Zähne zeigend, in feinstem Zwirn gekleidet, einfach nobel. Er stellte sich mir als ein Mister soundso vor, der von meinem gestrigen Abenteuer gehört habe und mir ein paar erklärende Worte sagen wolle, bevor ich abreiste. „Sie wollen sicher erst die Sonnenfinsternis erleben, nicht war?“, sagte er und schob mich auf eine Terrasse, reichte mir eine Brille, obwohl ich selbst ein besass und sagte lächelnd: „Ein paar Minuten noch“, dann schwiegen wir. Das Schauspiel war auf eine Art beeindruckend, die nur sehr schwer zu beschreiben ist. Alles wird mit einem Mal unwirklich still. Kein Tier, das sich gerührt oder einen Laut von sich gegeben hätte. Unheimlich irgendwie und dann kommt der grosse Schatten. Der Mond schiebt sich vor die Sonne, sie sehen es durch ihre Brille, gleichzeitig, aus den Augenwinkeln heraus, werden sie gewahr, wie die Natur zu ersterben scheint. Kein Blatt, kein Zweig bewegt sich mehr, Ruhe, unbeschreibliche Ruhe.

Es dauert eine Weile, bis sie wieder zurück sind im Jetzt. Mister soundso liess Getränke und Häppchen reichen und bat mich, wieder Platz zu nehmen. Dann erzählte er mir eine erstaunliche Geschichte, die erstaunlichste, die ich vielleicht jemals gehört habe. „Sehen Sie“, fing er an, „was sie gestern erlebt haben, hat vielleicht nur in Ihrem Kopf stattgefunden. Wenn Sie heute im Hotel nach diesem Stockwerk suchten, es wäre verschwunden. Es hat es nie gegeben. Die Menschen, die Sie glaubten, getroffen zu haben, hat niemand außer Ihnen wahrgenommen, also kann das, was Sie vermeinten, gehört zu haben, ebenfalls nur ein Produkt Ihrer Fantasie gewesen sein.“ Ich muss ziemlich blöde geschaut haben, denn mein Gastgeber lachte und fuhr fort: „Selbst unser Treffen heute hat niemals stattgefunden. Mit viel Glück könnten Sie vielleicht dieses Anwesen wieder finden, aber nicht die Menschen, die Ihnen darin begegnet sind. Uns gibt es nicht. Alles nur Produkte Ihrer Fantasie. Wem wollen Sie also etwas von einem Erlebnis berichten, das nicht stattgefunden haben kann?  Die Menschen, denen Sie solches erzählen wollen, werden Sie für verrückt erklären. Gehen Sie also sehr vorsichtig mit ihrer Erinnerung um. Es könnte Menschen geben, die sich sonst schützen  wollen und sie würden Mittel finden, Sie in eine Anstalt einweisen zu lassen. Glauben Sie mir, das wollen Sie nicht und denken Sie nicht, das wäre unmöglich. Ich sage Ihnen, und befolgen Sie meinen Rat, wer genügend Geld besitzt, dem öffnen sich Wege, die anderen zeitlebens verschlossen bleiben. Seien Sie klug und beenden nicht Ihr noch so junges Leben hinter den Mauern einer Psychiatrie. Das würden Sie nicht sehr lange durchstehen. Viele Medikamente, Psychopharmaka, und wenn Sie toben, Zwang, körperliche Fixierung, Zwangsjacken. Ein junger Mann, wie Sie, ich bitte sie, das wäre doch keine Perspektive.

Foto von Juergen Reiter