Es war gnadenlos heiß, die Haare an den Unterarmen standen senkrecht. Man hätte ein Lot fällen können, exakt 90 Grad. Schmale Schweißbahnen suchten sich einen Weg, kleinen Bachläufen gleich, um sich schließlich zu vereinen und in schweren Tropfen vom Handgelenk auf den Boden zu platschen. Niemand hätte behauptet, besonders viel Betriebsamkeit registriert zu haben, und trotzdem irgendwie, auf eine besondere, mir völlig ungewohnte Weise, wälzten sich Menschen hin und her. Viele sahen gleich aus und erweckten den Eindruck, als wären es immer dieselben, die von links nach rechts kehrten und auch andere Richtungen einnahmen. Aber das täuschte. Es lag an ihrer Kleidung. In Kaftan, Jilbab oder Galabiya eingehüllt, typische, arabische Kleidungsstücke. Aber ich bin kein Spezialist in Sachen arabischer Mode und weiß noch nicht einmal, wie man sie richtig ausspricht. Untailliert, wie ein Mantel oder Umhang, faszinierend, aber wie würde wohl einer wie ich darin aussehen?

Es war irgend ein Tag im Juli 1978, als die Maschine von Frankfurt kommend auf dem Internationalen Flugplatz von Tripolis landete. Ungewohnt war auch die Einreiseprozedur. Ein Mann, in einem der eben beschriebenen Kleidungsstücke, nahm den Leuten die Pässe ab und verschwand. Schön und sittsam aufgereiht warteten alle in einer riesigen Schlange vor einem Schalter oder war es eher ein kleiner Kiosk?

Egal, irgendwann nach sicher mehr als eineinhalb Stunden war ich an der Reihe. Und siehe da, wie von Zauberhand war der Polizist, Soldat oder sonst etwas in dieser Richtung, weil Uniform,  der sich in diesem Kiosk befand, im Besitz meines Passes. Ich verneinte seine in Englisch gerichtete Frage, ob ich etwas zu verzollen hätte. Ohne weiteren Wortwechsel klatschte er auf die Seite mit dem Visum  einen Stempel, den niemand lesen konnte, es sei denn, er wäre der arabischen Sprache mächtig gewesen. Den Pass durfte ich jetzt behalten, niemand kam, der ihn mir abgenommen hätte.

Bevor ich noch aufatmen konnte, eine neue Schlange. Diesmal kein Kiosk, sondern in weiter Ferne ein Tisch. Dahinter und rechts daneben je ein Uniformierter, stehend, mit den Einreisenden gestikulierend. Was war da los? Irgendwann war ich an der Reihe und hatte mitbekommen, dass es um eine Erklärung über die Höhe der mitgeführten Devisen ging.  „Heben Sie den Wisch gut auf“, sagte ein Mann hinter mir, der erkannt haben musste, dass ich wohl das erste Mal einreiste. „Bei der Ausreise brauchen sie ihn wieder. Sie müssen dann ihr Geld vorzählen und etwaige Differenzen erklären oder durch Belege einer Libyschen Bank nachweisen, wenn Sie Geld gewechselt haben sollten. Abheben können Sie hier eh nichts.“ Ich war mehr als dankbar für diese Hinweise, denn wie hätte ich es sonst wissen sollen? Es gab Merkblätter, das schon, aber nur in arabischer Sprache. Wie überhaupt alle Beschilderungen, Straßennamen usw. nur in Arabisch vorhanden waren, wie ich später noch feststellen sollte. Kein Touristenland, aber das wusste ich. Übrigens so ziemlich das Einzige, was ich wusste.

Dann kam die Gepäckkontrolle. Koffer auf. Der Uniformierte war gnädig, in meinem Fall, andere, bemerkte ich, mussten alles auskippen. Da waren drei oder vier Tische, immerhin, was den Vorgang kolossal beschleunigte. Mit weißer Kreide malte er einen Haken auf den Koffer, was so viel bedeuteten musste, wie o.k., denn jetzt war ich wirklich angekommen, in Libyen.

Keine weiteren Kontrollen, zweieinhalb Stunden nach Ankunft. Und es war heiß, mehr noch als zuvor, als die Klimaanlagen im Flughafengebäude zwar viel Lärm machten,  jedoch  mit der Gewalt der Außentemperatur haderten. Um die 40 Grad, nichts für Weicheier oder Europäer im Businessdress. Die arabischen Kleidungsstücke haben ihre Berechtigung, das kann mir bitte jeder glauben. Jedenfalls habe ich keinen gesehen, dem das Wasser förmlich aus dem Körper geschossen wäre, so wie mir. Nicht bei den Einheimischen. Bei Menschen meines Kulturkreises dagegen schon.

Vor dem Gebäude, warum nicht in der Halle, weiß ich nicht, wartete ein nicht Schwitzender im Kaftan mit einem Zettel, worauf ich mit einiger Mühe meinen Namen entziffern konnte. Geschafft! Jetzt noch eine gute Stunde in einem Auto mit desolater Klimaanlage, dafür geöffneten Fenstern, die mir den glühenden Fahrtwind ins Gesicht peitschten und eine Mischung aus Sand und dem getrockneten Salz meines Schweißes zurück ließen. Es war, wenn ich mich recht erinnere, irgendein französisches Modell, Peugeot glaube ich, und hoffte, die Klimaanlage wäre das Einzige, was an dieser Kiste nicht funktionierte.

Das Gästehaus unserer Firma, die mich zu diesem Tripp animiert hatte,  war weniger als spartanisch eingerichtet. Auf dem Boden schlafen musste ich nicht, ob es aber einen Schrank für die Klamotten gab, ist mir schon entfallen. Die Luft war stickig, was aber vermutlich an der Temperatur gelegen haben mochte. 32 Grad zeigte ein Thermometer, das wohl ein Sadist, ein seit Jahren nicht mehr befördertes Individuum oder sonst wer, hinterlassen hatte. Immerhin funktionierte die Dusche. Das Wasser schmeckte salzig. Wie ich später erfuhr, kam das daher, weil das Meerwasser in die leeren Grundwasserspeicher drückt. Später durfte ich gelegentlich erleben, wie Kuchen oder Gekochtes schmeckt, das auf einer solchen Basis beruht.

Irgendwann bin ich eingeschlafen, ob mit oder ohne Essen, ich weiß es einfach nicht mehr.

Foto von Libyan Spotter unter einer Creative Commons Lizenz