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Von der Unmöglichkeit, Mögliches möglich zu machen (Teil 2)

Wer in den Medien gelegentlich die WireCard-Story verfolgt, verspürt in seinen Eingeweiden ein unbehagliches Murren und Knurren. Hinauf ins Hirn getragen, wird es zur nicht fassbaren Unmöglichkeit, jene Vorkommnisse logisch in die Welt seiner Synapsen einzuordnen.

Es gelingt nicht, weil sich das Murren und Knurren aus dem Untergrund mit hinauf schleicht in die Sphären des Wissens und der Erkenntnis.

Was ist geschehen? Ex WireCard Chef Markus Braun sagt, nein, er beteuert es, dass er von Unregelmäßigkeiten nichts gewusst habe und von der Richtigkeit der Bilanzen überzeugt gewesen sei.

Die Ursache des Murrens und Knurrens ist geboren. Angenommen, er hat recht, so ist es die Unfassbarkeit, wie solches geschehen sein soll. Angenommen, was er von sich gibt, stimmt nicht. Er lügt also oder er weiß es wider besseres Wissen nicht anders. Auch in diesem Fall erfasst uns dieses Murren und Knurren der Unfassbarkeit.

Und nichts passt ins menschliche Gefüge schlechter als Unfassbarkeit. Es macht uns unsicher, zieht uns den Boden unter den Füssen weg, verhindert jegliche logische Auseinandersetzung mit der Realität. Unfassbar ist eben unfassbar. Durch nichts zu toppen!

In Moskau sitzt ein despotischer Machthaber. Es liegt an ihm, Hunderttausende in den Tod zu schicken. Es liegt an ihm, Narrative über die angeordneten Gräueltaten zu erfinden, dass einem schier die Spucke wegbleibt. Die Realität ist ob solcher Erzählungen außer kraft gesetzt. Jegliche Regeln des menschlichen Mit- und Nebeneinander haben ihre Gültigkeit verloren.

Wieder quälen wir unsere Gehirne, tragen es ihnen an. Sie, verächtlich verweigernd, was uns so schmerzt, die Unfassbarkeit des Vorgangs bis hinein in die Eingeweide trommelt.

Und es ließe sich die Palette der Unfassbarkeiten erweitern, möglich bis hin in die Weiten des Unendlichen. Es macht uns krank. Wir vermitteln dem Organismus nicht mehr die lebensnotwendige Stabilität. Organe scheren aus, hin zu neuen Mittelpunkten. Die es nicht gibt! Sie irren umher, verfallen in Labilität. Menschen mit erstaunlichen Fähigkeiten sind die Folge. Sie vergewaltigen ihre Gehirne bis hin zur Selbstverstümmelung. Sie gebären neue Narrative. Narrative, die aus der Unfassbarkeit Fassbares, ja logisch scheinend Begründetes formen.

Wenn nur genügend dieser menschlichen Missbildungen aufscheinen, wird aus Unfassbarem gleich einer religiösen Wandlung eilig Fassbares geworden sein.

Von der Unmöglichkeit, Mögliches möglich zu machen (Teil 1)

Denken wir nicht oft, wieso Menschen nicht ihr Hirn einschalten und Dinge vernünftig regeln? Freilich bräuchte es hierzu umfassendes Wissen über die Ursachen vorhandener Konflikte. Ursachen haben Beteiligte. Sie begründen die Ursachen und sind selbst Ursache!

In seinen letzten Beiträgen (in e-stories.de)

… vom ehrbaren Arbeiten, als ziviler Grundanstand_(#2)

… vom ehrbaren Arbeiten, als ziviler Grundanstand_(#1)

hebt Egbert Schmitt sehr deutlich die Unfähigkeit des erwarteten Zusammenwirkens hierarchischer Organisationen hervor. Es wundert mich nicht, wenn ich lese, wie wenig Verantwortung erkennbar ist. Arbeitsgruppen, Ausschüsse u.Ä. weisen nicht selten genau darauf hin. Verstärkung liefern unzählige Berater. Unternehmen, die nichts anders tun, als jene zu beraten, die Kraft ihrer Ausbildung, Studium, Position in der Hierarchie etc. alle Voraussetzungen mitbringen, ihren Job mit Verantwortung auszuführen. Millionenbeträge werden zu Umsatz, die besser in den Unternehmen und Organisationen verblieben wären. Und auch hätten verbleiben können, wenn nur die Verantwortlichen Verantwortung übernommen und ihrem Auftrag gemäß gehandelt hätten.

Sehr aufschlussreich hierzu ist das Interview mit Dieter Reiter, OB München, in der SZ vom Samstag/Sonntag, 11./12.Februar, „Ich dachte, ich spinne“.

Dies ist keine Kurzgeschichte im üblichen Sinn. Und doch ist es eine Geschichte. Sie erzählt von den Ursachen über die Unmöglichkeit, Mögliches möglich zu machen.

Wir haben uns daran gewöhnt. Bürokratie regelt unser Dasein. Unzählige Verordnungen, Durchführungs- und Ausführungsbestimmungen, gesetzliche Regelwerke, die ohne zugehörige Kommentare nicht versteh- bzw. interpretierbar sind, betriebliche Regelwerke, Verwaltungsvorschriften, Öffentliches Preisrecht und Zahlreiches mehr.

Es ist alles angelegt für eine Bürokratie ohne Ende.

Unerklärliche Vorkommnisse entstehen. So, wie kürzlich der Bau einer Lärmschutzwand in Tübingen, von der selbst Boris Palmer, OB Tübingen, sagte, sie sei Unsinn, würde aber gebaut, weil Vorschrift! Zweihunderttausend Euro verpulvert!

Ja, geneigte Menschen, die bis hierher gelesen haben, eine Geschichte nur. Eine Kurzgeschichte, obwohl, wäre sie detailreich recherchiert, tausende von Seiten füllen würde. Zu umfassend für das vorliegende Format.

Wir möchten gerne den politisch Verantwortlichen Glauben schenken, wenn sie erklären, die Bürokratie sei die Wurzel allen Übels und müsse deshalb dringend und vorrangig abgebaut werden. Nur zu gut können wir verstehen, welch immensen Geldsummen für drängende Vorhaben zur Verfügung stehen könnten, gäbe es nur diese unselige, alles bestimmende Bürokratie nicht.

Denken wir jedoch daran, Bürokratie ohne Bürokraten gibt es nicht. Bürokratie ersetzt den gesunden Menschenverstand. Bürokratie entzieht den Verantwortlichen die Verantwortung. Bürokratie unterstützt die Phlegmatischen.

So endet Teil 1 dieser Kurzgeschichte.

Der Anlass

Der abgekaute Stummel des Stiftes entgleitet seinen kraftlosen Fingern. Der Kopf sinkt zur Seite, dann Ruhe, kein Atemzug, einfach nichts.

Unten im Dorf kommt ein Suchtrupp zusammen – Bergwacht, Bergsteiger und Menschen, die einfach ihre Hilfe anbieten.

Im Hotel herrscht Aufregung. Seit zwei Tagen hat man nichts mehr von ihm gehört. Niemand hat ihn gesehen, niemand weiß etwas.

Und inmitten der Unruhe eine junge Frau. „Veronika“, hatte sie sich vorgestellt. „Mein Vater muss hier sein. Er hat mir geschrieben, mich gebeten, herzukommen!“

In jedem Jahr suchen sie nach abgängigen Touristen, die schlecht ausgerüstet in diese bizarre Welt aufbrechen und herausfordern, was sie besser gelassen hätten. 

Der Hubschrauber landet. Bergwacht, weithin leuchtet das Signalrot des Schriftzugs, als wollte er rufen: Bleibt zurück, geht nicht! 

Aber sie gehen. Sie gehen immer wieder und viele kehren nur als Tote wieder.

Vier Personen in den roten Overalls der Bergwacht eilen auf den Heli zu. Andere gehen hinüber ins Lagezentrum und manche einfach nach Hause. Nur Leute, die wissen, was jetzt zu tun ist, bleiben zurück, für andere ist nicht die Zeit.

Das dumpfe Knattern des Rotors erfüllt das Tal, zieht entlang der Bergketten und verliert sich oben im weiten Nichts des blauen Himmels. Angestrengt beobachten die Insassen die vorbeifliegende Landschaft. Jeder hat seine eigene Methode, das Terrain zu scannen. Die Ärztin überprüft den Rettungskoffer. Alles Lebensnotwendige ist verstaut. Mehr als einhundert Einsätze, ein Gedanke setzt sich fest: Werden wir ihn finden, …rechtzeitig finden?

Es geht dem Mai entgegen. Die höheren Lagen sind noch fest im Griff unnachgiebiger Schneemassen. Unter 1500 Metern verliert sich das Weiß, bis schließlich im Tal nichts mehr davon übriggeblieben ist. 

„Ich meine, der Mann ist Schriftsteller, warum krabbelt er hier oben herum, ausgerechnet jetzt, um diese Jahreszeit?“, brummt einer der Männer.

Dann stieren sie wieder in die Tiefe.

„Da! Rechts gegen fünfzehn Uhr, ein abgelöstes Schneebrett. Ich geh‘ näher ran!“ Routiniert zieht der Pilot den Heli in die angezeigte Richtung, um dann die Maschine unvermittelt nach unten zu drücken. „Strengt euch an! Schaut nach dem kleinsten Hinweis!“

Da ist kein Hinweis. So sehr sie es auch wünschten, jeden Zentimeter auf das Genaueste abtastend, da ist nichts, außer Schnee, blanker Schnee, keine Spuren irgendwelcher Art.

Der Heli zieht weiter.

Im Lagezentrum haben sie mittlerweile eine riesige Karte an die Wand geheftet. „Maßstab eins zu zwanzigtausend, da ist beinahe jeder Grashalm drauf!“

„Niemand kann sagen, wann der Mann aufgebrochen ist, wohin oder in welche Richtung.“, erklärte der Einsatzleiter. „Ausgerüstet dürfte er sein, jedenfalls hat man im Zimmer des Hotels weder Stiefel, Anorak noch Rucksack vorgefunden.“

Veronika, die Tochter, läuft hin und her, weiß nichts mit sich anzufangen, versteht aber, dass sie hier keinen Beitrag leisten kann. Obwohl es ihren Vater betrifft, weiß sie viel zu wenig über ihn. Er schreibt Bücher, Romane, Thriller und dazu zieht es ihn oft an die eigenartigsten Orte, in die entlegensten Gegenden.

Eine Eingebung! Veronika wählt die Nummer des Verlages, der die Bücher ihres Vaters verlegt. Endlich hat sie die richtige Frau in der Leitung. „Sagen Sie, woran arbeitet mein Vater gerade?“ Sekunden verstreichen.

„Wieso, was ist…, weshalb fragen Sie?“

Mit wenigen Worten erklärt Veronika die Situation. „Ich will wissen, ob uns sein neues Buch einen Hinweis geben könnte, das ist alles. Entschuldigung, einen Hinweis, meine ich, wo er sein könnte, was er in den Bergen gesucht hat?“

Veronika nickt, hört aufmerksam zu, greift einen Block, macht Notizen. „Danke, ich melde mich, sobald ich mehr weiß!“

Der Einsatzleiter kommt herüber, Veronikas Gespräch ist ihm nicht entgangen.

„Hören Sie, der Verlag sagte etwas von einem Roman, der in den letzten Kriegstagen spielt.“

„Ja, und, weiter, wir sind ganz Ohr, erzählen Sie!“

Während dessen umrundet der Heli das Gebiet um das Schneebrett, erst enge Kreise, dann weitere und so fort. Keine Spur!

„Wir drehen ab, tanken, kurze Lagebesprechung in der Zentrale, dann sehen wir weiter.“

Mühsam murmelt der Mann ein paar unverständliche Worte. Aber da ist niemand, der ihn hören könnte. Mit äußerster Anstrengung und Konzentration gelingt es ihm, mit zwei Fingern den Stift zu greifen und nach mehreren Versuchen im Anorak zu verstauen. Der linke Knöchel ist heftig angeschwollen. Höllischer Schmerz bei jeder noch so geringen Bewegung. Warum war er hierhergekommen? Wo war er überhaupt? 

„Warten Sie, der Hubschrauber landet gerade. Erzählen Sie uns Ihre Geschichte, sobald die anderen bei uns sind.“

„Mein Vater arbeitet an einer Geschichte, die sich in den letzten Kriegstagen zugetragen haben soll. Ein örtlicher Parteifunktionär soll Gegenstände von erheblichem Wert bei Seite geschafft und in einer Höhle oberhalb des Dorfes versteckt haben.“

„Die Burgensteiner Höhle!“, ruft jemand dazwischen.

„Die Burgensteiner Höhle?“, fragt der Einsatzleiter achselzuckend.

„Ja, mein Großvater hatte immer wieder davon erzählt. Von den Älteren im Dorf kennt diese Geschichte jeder. Soviel ich weiß, waren schon oft Leute oben, haben alles umgestülpt, aber nie etwas entdeckt.“

Einer der Anwesenden markierte den gesuchten Ort auf der Karte.

„Es ist dort, wo wir gerade herkommen, ein paar Meter hin oder her. Dann starten wir am besten gleich nochmal, bevor es zu dunkel wird!“

Der Pilot, gefolgt vom Einsatzleiter, der Ärztin und zwei weiteren Männern verlassen die Leitstelle. Der dumpfe Knall des Rotors erfüllt das Dorf, als der Hubschrauber abhebt und den besorgten Blicken der zurückgebliebenen Leute entschwindet.

Es ist dunkel. Selbst wenn er die Zähne zusammenbeißt, den Schmerz ignoriert, würde er nur Unleserliches aufs Papier bringen. Trotzdemdu musst ein paar Zeilen hinterlassen, insistiert sein Gehirn. Hinterlassen? Bin ich schon am Ende, erledigt? Noch nicht! Sie werden dich finden, aber dann bist du vielleicht schon tot. Denk realistisch! Mach dir nichts vor!

„Näher kommen wir nicht ran. Es wäre zu riskant, wegen des Rotors. Ihr seht die Felswand dort?“ Bedächtig setzt der Hubschrauber auf, der Motor verstummt, noch ein zwei Umläufe, dann Stille.

„Dort drüben unter dem Schneefeld soll der Zugang zur Höhle liegen, aber ehrlich gesagt, sehe ich nicht, wie wir paar Leute es schaffen wollen. Die Lawine hat alles verschüttet und einfach blind dahinstochern bringt nichts!“, meinte der Einsatzleiter. „Wir brauchen jemanden, der die Gegend gut kennt!“

Ein Blick auf die Uhr. „Länger als eine Stunde, vielleicht eineinviertel, dann müssen wir zurück!“, sagt der Pilot bestimmt. „Ohne Sicht geht hier nichts, tut mir leid.“

„Okay, verstanden. Wir stellen die Suche für heute ein und sehen zu, dass wir jemanden auftreiben, der sich hier auskennt.“

Niemandem gefällt diese Entscheidung, aber die Vernunft siegt und der Pilot soll sie schließlich wieder heil nach unten bringen.

Keine Streichhölzer, kein Feuerzeug, zuhause vergessen, aber eine Taschenlampe, im Rucksack! Er hat ihn nicht, weggerissen. Er erinnert sich. Plötzlich, Bruchteile von Sekunden nur, eine gewaltige Druckwelle, unkontrolliert, erfasst ihn, schleudert ihn in die Höhle. Die Höhle, ein Schimmer von Hoffnung, er kennt sie in- und auswendig, ihre Verzweigungen, Zu- und Ausgänge. Aber sein Fuß, die Schmerzen! Du kommst hier nicht weg – gefangen, ohne Hoffnung!

Früh morgens, sobald der Hubschrauber starten kann, sind sie wieder oben, begleitet von einem Ortskundigen aus dem Dorf.

„Sehen Sie, dort, der Zugang ist unterhalb des Massivs. Wie ich es sehe, sind das wenigsten drei Meter Schnee, die wir erst wegräumen müssen. Drei Meter, vielleicht sogar mehr, wie sollen wir das per Hand schaffen? Unmöglich!“

„Maschinen bekommen wir jetzt nicht herauf und einsetzen könnten wir sie ohnehin nicht, wie auch?“, meinte der Einsatzleiter und drückte am Funkgerät die Wähltaste der Leitstelle.

„Wir brauchen dringend Unterstützung. Fragt bei den Gebirgsjägern nach, sie sollen einen Trupp Männer mit Bergungsgerät hochfliegen!“

Er sieht nichts, Durst schnürt ihm die Kehle zu. Ich muss den Rucksack haben! Er weiß nicht, wie lange er zwischendurch vor Erschöpfung eingenickt war. Jedes Zeitgefühl ist verloren. Die Schmerzen gleichbleibend, irgendwie monoton, ein Teil seines Körpers geworden. Er zieht den Gürtel aus dem Hosenbund. Mehrere Anläufe, dann schafft er es, den Knöchel zu stabilisieren. Eine Tortur, aber es muss sein, der Rucksack!

 …

„Hauptmann Eisenbichler mit zehn Mann,“ Die Gebirgsjäger waren schnell vor Ort. „Wir brauchen auf jeden Fall Spundwände, um nachrutschenden Schnee zu verhindern, wenn wir graben.“ Der Hauptmann erteilt Anweisungen an den Piloten und telefoniert mit seinem Bataillon. „Und schafft noch weitere Männer hoch, je mehr desto besser!“

Die Soldaten arbeiten routiniert. 

Ein halber Meter, ein Meter, kräftezehrend. „Wir müssen näher an die Felswand heran!“ Schicht um Schicht gibt das eisige Element nach, Spundwände werden gesetzt und mit Querstützen gesichert. Die Felswand rückt näher!

Er hätte nicht geglaubt, dass es funktioniert, aber es gelingt. Seiner Erinnerung nach kann er den Höhlenboden gefahrlos absuchen, gefährliche Abgründe und Spalten sind im vorderen Teil der Höhle nicht zu erwarten. Tastend robbt er schließlich am Boden entlang, erst nach links, dann nach rechts uns so fort. Der Rucksack muss schließlich irgendwo liegen. Taschenlampe, Verpflegung und Wasser, überlebenswichtige Schätze, er muss ihn finden! 

Meter für Meter ist abgetragen. Die Männer atmen schwer, Pausen sind einzulegen. 

„Vielleicht zwei bis drei Meter nach rechts, dann sollten wir es geschafft haben“, sagt der Mann aus dem Dorf.

Die Zeit verrinnt unbarmherzig, ohne Rücksicht auf die Situation. 

„Dreißig Minuten noch, dann müssten wir für heute abbrechen!“ Hauptmann Eisenbichler und der Einsatzleiter der Bergwacht sind sich einig. 

„Es sei denn, wir biwakieren und arbeiten mit Scheinwerfern weiter. Was meinen Sie? Wie ist die Wettervorhersage für heute Nacht?“, fragt Eisenbichler.

Die Gebirgsjäger fliegen das benötigte Material nach oben. Alle bleiben. Der Hauptmann teilt die Mannschaft in Schichten ein. Mannschaftszelte stehen, Dieselaggregate liefern Strom und Heizung, das grelle Licht der Scheinwerfer ist bis hinunter ins Tal auszumachen.

Der Mann in der Höhle weiß davon nichts. Er weiß auch nicht, wieviel Zeit die bisher erfolglose Suche nach dem Rucksack gekostet hat. Erschöpfung zermürbt ihn, raubt ihm die notwendige Kraft. Es geht nicht mehr! Noch ein letzter Meter und noch einer. Schwer atmend müht er sich noch eine Strecke ab, dann ist Schluss. Keuchend bleibt er liegen.

„Wir haben den Eingang!“

Die anfängliche Euphorie ist schnell getrübt, als die Männer feststellen, dass der dieser vollständig verschüttet ist. „Weitergraben, es gibt keine Alternative!“, spornt Eisenbichler seine Männer an.

Gier nach Wasser! Die Schmerzen, unerträglich! Du wirst es nicht schaffen, hämmert sein Gehirn. Mit letzter Kraft kann er sich halbwegs aufrichten. Pause! Notizblock aus der Brusttasche fingern. Pause! Wie ein rohes Ei, fummelt er den Bleistift heraus. Seine Hände zittern. Nur bloß jetzt den Stift nicht fallen lassen! Es gelingt. Für einen kurzen Augenblick durchströmt ihn ein unsägliches Gefühl von Glück. So gut es eben im Dunkeln möglich ist, beginnt er zu schreiben. Immer wieder gleitet seine Hand ab, bis er nicht mehr fähig ist, sie anzuheben. Bis er zu nichts mehr fähig ist.

„Hallo…, hallo!“ Die von Schnee angefüllte Höhle schluckt die rettenden Rufe.  Der Lichtkegel einer Stablampe bohrt sich ins Innere. „Nichts zu sehen!“

Die Soldaten schaufeln weiter, legen einen größeren Teil frei.

„Dort, ein Notizblock!“, ruft jemand und hebt ihn auf. „Aber sonst keine Hinweise auf den Mann!“

„Wo kann er bloß sein?“ Eisenbichler ist mit seinem Latein am Ende, auch die Leute der Bergwacht haben keine Erklärung. Sie waren weit in die Höhle vorgedrungen, mussten ihre Bemühungen jedoch nach stundenlanger Arbeit erfolglos abbrechen. Der Mann bleibt unauffindbar.

In krakeliger Schrift, kaum lesbar und verschmiert, lüftete der Notizblock sein Geheimnis. Veronika sitzt mit den Männern der Bergwacht um einen Tisch in der Leitstelle.

Ich weiß nicht, was geschehen ist. Ein gewaltiges Etwas (Druckwelle einer Lawine vielleicht?) hat mich in die Höhle geschleudert. Auf dem Boden kriechend und robbend habe ich nach meinem Rucksack gesucht. Ist jetzt egal. Ich werde es nicht schaffen.

Ich kann nicht sagen, wie lange ich hier schon so liege, scheine aber ohnmächtig gewesen zu sein. Ich lutsche Schnee. Im Rucksack ist, was ich brauche, aber ich habe ihn nicht. Unsägliche Schmerzen im linken Bein, vielleicht Fußgelenk gebrochen.

Ich kenne die Höhle und werde mein Glück versuchen, so gut ich es eben vermag. 

Bei Sonnenaufgang des nächsten Tages bringt der Hubschrauber eine Gruppe Höhlenforscher mit nach oben, die in Windeseile aus dem ganzen Land zusammengetrommelt wurden. Besser als die Bergretter sind sie mit der besonderen Situation vertraut. 

Die Spannung in der Leitstelle, im ganzen Dorf und darüber hinaus ist unerträglich. Die Nachrichten der Rundfunk- und TV-Stationen berichten unablässig und heizen die Dramatik weiter an. Die ersten Touristen aus den Nachbarregionen trudeln ein, damit ihnen nicht entgehe, was der Mensch glaubt, als erlebtes Grauen vor Ort mitnehmen zu können. Die Polizei muss einschreiten, Gedränge und Geschiebe verhindern, den Einsatzkräften Raum verschaffen. Hubschrauber kommen und gehen, spuken neue TV-Teams und Berichterstatter aus, die mit wichtiger Mine und Kameraleuten im Rücken vom Ort Besitz ergreifen.

Die Gaststätten und Wirtshäuser sind voll, machen unverhofft gute Geschäfte. Blitzschnell sind alle Zimmer ausgebucht. Von irgendwoher kommt ein Grillmobil für Bratwürste und Hähnchen, Pommes usw. Bier fließt reichlich! Andere mobile Händler schließen sich an. Die Polizei gibt einen Dorfparkplatz frei, wo sie ihre Stände aufbauen. Sogar gebrannte Mandeln und Türkischer Honig sind zu haben, Zuckerwatte fehlt noch! Dafür aber Schnäpse und anderes Hochprozentiges. Die Stimmung wird ausgelassen. Vorne klappt jemand einen Verkaufsstand mit Fisch- und Wurstsemmeln auf. Die Menschen bilden Schlangen, jeder will etwas erheischen!

Und noch mehr Touristen. Die Busse werden auf eine Parkfläche nahe der Kirche umgeleitet. Die Leute rennen mit Handys und Kameras, schießen Fotos, egal von was, hunderte drücken sich ins Gewühl und manche wissen nicht einmal, weshalb es zu diesem Auflauf gekommen ist und warum sie eigentlich hier sind.

Die ersten Verkaufsmobile werden abgewiesen oder vor das Dorf dirigiert. Die Polizei erhält Verstärkung aus der Luft, die Zufahrtsstraßen sind längst verstopft. Leute geben Interviews, wissen angeblich etwas, von dem Sie mit Sicherheit nichts wissen.

Die wenigen, aktuell Informierten und ins Geschehen Eingebundenen sind in der Leitstelle versammelt und wundern sich über den Wahnsinn, der unvermittelt über ihre kleine Gemeinschaft hereingebrochen ist.

Kurz vor Einbruch der Dämmerung zieht ein Punkt in der Ferne die Aufmerksamkeit auf sich. Der Hubschrauber der Bergwacht kommt näher und übertönt das Stimmengewirr der Menschenmassen. Die Bergungsmannschaft hat ihren Einsatz beendet. Polizeikräfte sichern den Landeplatz. Die roten Overalls, gefolgt von den Höhlenforschern steigen aus, um nach wenigen Augenblicken die Leitstelle zu erreichen. Einer der Männer trägt einen orangefarbenen Rucksack über der linken Schulter.

„Wir haben den Rucksack, von seinem Besitzer jedoch keine Spur.“

Die Abendnachrichten aller Stationen berichten ausführlich. Worüber sie nicht berichten, ist der kaum zu erklärende, ausgelassene Taumel der Menschen vor Ort. Die Tragik der Ereignisse war für sie ohne Bedeutung, nicht mehr als ein Anlass. 

Tage später wird die Suche eingestellt. „Aussichtslos!“, sagen die Experten.

Foto: Hans K. Reiter

Einsicht – Episode zu Weihnacht 2020

Einzelne Schneeflocken verfangen sich im schlohweißen Bart und augenblicklich formen die Eiskristalle bizarre Strukturen im gekräuselten Haar.

Müde blicken die wässrigen Augen hinab. Eine Hand noch an der beiseite geschobenen Gardine, aber da ist nichts. Die Straße, der angrenzende mit Sträuchern bewachsene Platz, leer. Keine Menschenseele. Nicht einmal der Nachbar aus dem übernächsten Haus, der sonst immer mit seinem Dackel unterwegs ist – wie ausgestorben.

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Falsches Spiel

Figuren:

 Wechselhuber Andreas – der Hundsfott

Primelmeier Notburga – die Dorfpomeranze

Überall auf der Welt gibt es Leute, die es besser wissen. Wenn sie es jedoch nach außen kehren, trifft sie nicht selten der Spot der anderen.

Wer hat es gesagt?

Natürlich der Klugscheißer!

Und wenn dem so ist, erfährt das Gesagte meist keine besondere Wertschätzung.

Der Wechselhuber Andreas war so einer. Allerding weniger in der Rubrik Gscheidhaferl oder Klugscheißer, wie man hierzulande auch sagt, als vielmehr mit dem Makel eines Hundsfotts versehen, was aber in der Wertschätzung eher noch schlechter wegkommt.

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Propheten ziehen durch das Land

„Wissen Sie, früher hat es an der Tür geschellt…“

„Geklingelt!“

„Wie, was…?“

„Bei uns hier in Bayern sagt man: ‚Es hat geklingelt‘.

„Ach so, wegen des Dialektes, meinen Sie?“

„Nein, denn sonst hätte ich gesagt: ‚Es hod glinglt.‘ Aber ich wollte Sie nicht überfordern und so habe ich auf die Dialektaussprache verzichtet.“

„Mhm, verstehe.“

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Abgrund (2) – ein schmaler Grat

Winzige Gedankenblitze mühen sich wieder und wieder, das Unüberwindbare zu durchdringen. Grelles Licht stemmt sich entgegen, wie ein Schutzwall, der Ferdinands Seelenfrieden zu bewahren sucht. 

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Abgrund (1) – der verlorene Wille

Als Ferdinand am Vierzehnten dieses Monats gegen 17:35 Uhr die Brücke betrat, sollte es das Letzte sein, das seinem Leben noch einen Sinn geben könnte.

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Filtertütenkollaps

In jener Zeit, als das Klopapier rapide zur Neige ging und die begierig lauernden Kunden in den Supermärkten landauf, landab traurig in entleerte Regale blickten, kam es zum Kollaps der Filtertüten.

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Unvorhergesehenes

Mitwirkende:

Hermine Kupferschmied, Nachbarin

Genoveva Pechmacher, Ehefrau

Friedhelm Güllenhauser, Ehemann

Ein Mann, Beamter der Gemeinde

Andere, namentlich nicht näher benannt

Freitag, 14. Juni

„Grüße Sie, Frau Kupferschmied!“

„…äh…, wie, was, Entschuldigung…, bitte?“

„Gestatten, ich bin Friedhelm Güllenhauser. Ich, das heißt wir, meine Frau und ich, sind vor ein paar Tagen in das Haus gegenüber gezogen. Wir haben es gekauft!“

„Sie haben es… gekauft! Sie sagten, gekauft?“

„Ja, wieso, stimmt etwas nicht? Sie sagen das so merkwürdig.“

„Ja, wissen Sie denn nicht? Sie Unschuldslamm, Sie wissen es nicht, habe ich Recht?“

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