Über Monate hin sind wir immer wieder nach Tripolis geflogen. Oft über Frankfurt, manchmal über Zürich und wenn es ging, direkt von München aus. An der Einreiseprozedur hat sich während dieser Zeit kaum etwas verändert. Die gleichen Warteschlangen, die gleichen Fragen, die gleichen Formalitäten. Auch unser Gästehaus war nicht nennenswert komfortabler geworden. Wie auch? Möbel etc. nach unserer Vorstellung gab es nicht, und so nahmen wir die Unzulänglichkeiten eben in Kauf.

Ein anderes Thema war die Ausreise, aber dazu später mehr. Wir hatten zwar den Vertrag, aber wie wahr waren die damaligen Worte unseres Vertragspartners. Das Geschriebene interessierte die Banken, den Zoll und vielleicht noch ein, zwei andere Ämter oder Institutionen. Damit aber alles seinen geregelten Gang gehen konnte, bedurfte es einer permanenten Abstimmung. Das Ergebnis war, wir verbrachten mehr Zeit in Libyen, als zuhause. Bis alles geregelt war mit dem Performance Bond und dem Akkreditiv brauchte es einfach seine Zeit. Die Formalisten auf beiden Seiten schwangen ihre  Zepter.

Nur kurz für diejenigen, die nicht vom Fach sind: Ein Performance Bond ist eine Bankgarantie, die der Auftragnehmer, also wir, dem Auftraggeber übergibt. Würden wir nun den Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllen, könnte der Auftraggeber, also unser Kunde, zur Bank gehen und sich den Garantiebetrag auszahlen lassen. Das beflügelt natürlich jeden Auftragnehmer, seine Sache gut zu machen und der Kunde kann sicher sein, dass das auch so bleibt. Noch kurz zum Akkreditiv. Das ist das Versprechen oder die Zusicherung einer Bank, bei Lieferung den entsprechenden Gegenwert in Geld auszubezahlen. Damit kann der Auftragnehmer sicher sein, sein Geld zu bekommen, wenn er seine Ware liefert und der Kunde muss keine Sorgen haben, für etwas zu bezahlen, was nicht geliefert wird. Eine prima Einrichtung im Exportgeschäft. Dass da natürlich eine ganze Menge von Details festzulegen sind, kann sich jedermann sehr gut vorstellen. Wir rasten also zwischen den Banken hin und her, sprachen mit unserem Kunden und überzeugten so manchen Skeptiker in der Firma, dass das schon alles seine Richtigkeit hätte.

Unser Büro war nicht weit entfernt vom Suk gelegen, dem arabischen Basar. Im Tripolis der damaligen Zeit gab es allerdings nicht sehr viel, was man hätte kaufen können und doch einiges. In den Kaufhäusern, von denen es zwei größere gab, waren die Regale immer voll, aber bei genauem Hinsehen, war die Warenvielfalt eher dürftig. Ein und das selbe füllte Reihen von Regalen, und wenn es vorkam, dass die Händler einen günstigen Posten geordert hatten, dann gab es diesen im Überfluss, jedoch nur wenige Tage. Begehrt waren solche Dinge wie Koffer. Es schien so, als hätte Samsonite immer wieder mal einen Auftrag erhalten, was man daran sehen konnte, dass urplötzlich dutzende von Menschen Koffer in jeder Größe nach Hause schleppten. Manche schleppten mehr, als sie eigentlich tragen konnten.  So war das auch mit Hemden aus Seide. Ich habe in dieser Zeit gerne solche Hemden getragen, auch, wenn sie eigentlich bei brütender Hitze doch unbequem waren und die Transpiration eher förderten, denn stoppten. Die Hemden waren schlicht zu eng. Tailliert war irgendwie in, wahrscheinlich, weil dies das genaue Gegenteil zur traditionellen Kleidung war. Na ja, wir waren aber primär nicht im Land, um uns mit günstigen Textilien einzudecken, nicht wahr! Da fällt mir noch ein, Parfüm gab es auch immer wieder mal. Riesenflaschen First, wovon ich dann gelegentlich meiner Schwägerin eine Flasche mitbrachte. Meine Frau mochte es nicht.

Wie gesagt, vom Büro zum Suk nur ein Sprung. Da schlenderst du durch die schmalen Gässchen, bis du jede Orientierung verloren hast. Du denkst, da bin ich doch schon einmal vorbei gekommen, aber es stimmte nicht. Die Läden und Buden sehen nur alle gleich aus. In einer Gasse waren Kesselschmiede am Werk. Die formten und hämmerten stundenlang, den ganzen Tag, die ganze Woche, immer und ununterbrochen. Das Ergebnis ihres Fleißes boten sie zum Kauf feil, Kupferkessel in jeder Größe und Form. Aber was sollten wir damit? Andere boten Kleidung in jeder Variante an, für Einheimische, Ausländer hätten sie auch tragen können, wären aber unweigerlich damit aufgefallen. Du bewegst dich ganz anders, linkisch irgendwie, wie der Ami in Lederhosen, und wirst zum Gespött der Leute, obwohl das in Tripolis vielleicht gar nicht so sehr der Fall gewesen wäre.Was wir so mitbekamen, war die Bevölkerung freundlich und gegen Ausländer nicht voreingenommen. Na ja, wir kauften nichts. Bunte Tücher quollen aus den Buden in einer anderen Gasse. Schön anzusehen, aber wir brauchten auch solches nicht.

Silberschmuck haben wir dann schon gekauft. Irgendwo im Suk waren Händler, die undefinierbares, schwarzes Zeug in Truhen feilboten. Das war Silber, man musste nur den schwarzen Belag etwas abreiben, mit einem Tuch oder mit dem Ärmel seiner Jacke oder mit dem vom Händler gereichten Lappen, seit Generationen zum gleichen Zweck verwendet, ohne jede Chance jemals gewaschen zu werden. Da konntest du in Schätzen wühlen. Münzen, Armreife, Ohrringe, Armschmuck und vieles mehr. teilweise von einem Gewicht, dass einem die Frauen, die solches trügen, nur leid tun konnten. Aber genau solchen Schmuck kauften wir, und die Augen unserer Frauen glänzten, sie freuten sich darüber. Wir wissen ja, bei Mode und Schmuck hört jede Ratio auf.

Es gab auch Stände mit Wasser und Säften und wahnsinnig süssem Zeug, aber höllisch gut. Nichts für labile Naturen, da musst du dich beherrschen können, sonst …, ich weiß es nicht. Und dann fiel uns auf, immer mehr Läden schlossen, die grünen Rollläden heruntergezogen, Vorhangschloss, aus.

Es war für die Menschen dort nicht einfach. Einen Revolutionsführer als Chef, den keiner in der Welt so richtig gern hat, auch in der arabischen nicht, und gerade dort nicht. Obwohl, die Deutschen mochten ihn. Jürgen Möllemann, der sich viel, viel später das Leben genommen hat, damals Staatssekretär bei Genscher, verhandelte mit den Libyern über den Wegfall der Visumpflicht. Da hätten wir Deutsche dann mit dem Personalausweis einreisen können. Ist aber nichts geworden daraus, ich weiß nicht mehr warum nicht. Aktuell war es so, man erhielt ein Visum, gültig für eine Ein- und Ausreise. Danach wochenlanges Warten, bis ein neues Visum in den Pass gestempelt wurde. Damit wir schneller reisen konnten, und das war dringend notwendig, besaßen wir zwei Pässe. Einer mit Visum, der andere bei der libyschen Botschaft für ein neues Visum. Jeder wußte das, auch die Libyer, aber was soll’s, Formalismus will eben befriedigt sein, egal wo.

Wir hingen nicht nur im Suk, wo wir uns schon bald nicht mehr verliefen und genau wussten, in welcher Gasse es welchen Laden gab, sondern gelegentlich traf man uns auch im Büro der Niederlassung an, Stützpunkt genannt. Einfach möbliert. In Deutschland hätten die Leute protestiert, aber hier war es üblich.

Einmal, ich stand am Kopierer und versuchte, ihm ein paar Blätter zu entlocken, fragte mich der Stützpunktleiter, ob ich eine Minute hätte. „Sie kennen doch den Kollegen“, und er nannte den Namen, „der dringend außer Landes muss.“ Ich wusste natürlich sofort, wen er meinte, der, den sie wegen Fotografierens festgenommen und  übel mitgespielt hatten. „Wir haben etwas arrangiert.“ Und er erläuterte mir, dass der Posten eines bestimmten Grenzübergangs nach Tunesien an einem ganz bestimmten Tag zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt so besetzt sein würde, dass ein Wagen mit dem Kollegen ungehindert passieren könne, ohne Pass selbstverständlich. Ich muss erstaunt dreingeschaut haben, denn er setzte sofort nach und fragte ohne Umschweife, ob ich bereit wäre, den Wagen zu fahren. Sie hätten lange überlegt und gefunden, ich sei für diesen Job der am Besten geeignete.

Was willst du da antworten? Irgend etwas von Risiko etwa? Nein, du denkst in dieser Situation zu kurz. Man hat dich gefragt, und du kannst nicht ablehnen. Also was sagst du? „Ja ich mach es.“  „Ich habe es erwartet“, schüttelte mir der Mann die Hand und sagte noch, man würde mich noch über den genauen Zeitpunkt informieren und die richtigen Verhaltensregeln durchsprechen. Bis dahin solle ich zu niemandem etwas sagen, auch zu meinem Kollegen nicht, um die Sache nicht zu gefährden. Ich stand wieder am Kopierer und die Sache ging mir nicht aus dem Kopf. „Wie im Kino“, dachte ich. Und jetzt war ich plötzlich mittendrin, Teil eines Abenteuers, das böse enden konnte. Diese Nacht schlief ich schlecht, und nicht nur wegen der Klimaanlage und der faden Luft.

Foto von Quigibo unter einer Creative Commons Lizenz