Dort, hoch oben, wo des Nachts nur Sterne und Mond den Weg erleuchten, wohnte in einer verschwiegenen Hütte Magdalena. Einsam war’s am Fuße des Bergmassivs, wo aus der Hütte Kamin leichter Rauch empor kräuselte. Die Finsternis hätte ihn fast verschluckt, wäre da eben nicht das Himmelszelt gewesen. Nur wenige Tiere verirren sich hier herauf. Ab und zu Gämsen, die man in der Ferne vorbeiziehen sah.

Das fahle Licht des Mondes warf den Schatten zweier sich mühsam nach oben schleppender Gestalten auf den matt schimmernden Fels, der sich entlang des Weges zog. Ihre Körper waren eingehüllt in Lodenumhänge, deren Kapuzen sie tief ins Gesicht gezogen hatten. Kein Wort verliess ihre Lippen, nur ihr Atem zeichnete kleine Wölkchen in die kalte Novembernacht.

Magdalena war den Sommer über hier oben und verdiente sich ein wenig als Sennerin. Jetzt zur Adventszeit war das Vieh längst wieder abgetrieben ins Tal, aber sie kam öfter hier herauf, um die Abgeschiedenheit der Berge zu genießen. Sie war gerne allein. Was sie brauchte, trug sie nach oben, und frisches Quellwasser gab es reichlich. Magdalena legte ein Scheit Holz in den Herd und schaute dabei versonnen in die Glut. Obwohl der Herd hergab, was er konnte, und das Eisen der Platte beinahe glühte, verspürte sie ein Frösteln. Etwas war anders als sonst.

Wirst doch nicht etwa krank werde?, sagte Magdalena zu sich selbst und hüllte sich in eine Stola. Aber es war nicht Kälte, die ihr einen Schauder über den Rücken jagte. Eine innere Unruhe hatte sie erfasst und wollte nicht mehr von ihr lassen. Eine böse Vorahnung beschlich sie, als schlurfende Schritte das Nahen von Fremden ankündigten. Nur Sekunden später das Klopfen einer derben Faust auf die Türe. Keine Stimme, nur das Klopfen.

Magdalenas Herz schlug bis zum Hals. Erstmals seit Langem beschlich sie Angst. Wer mochte das sein? Unwillkürlich fiel ihr Blick auf das Fenster. Den Laden hatte sie nicht geschlossen. Wozu auch? Hier heroben war außer ihr niemand. Bis jetzt! Da, vage konnte sie eine Fratze ausmachen, die das Innere der Hütte auszuspähen versuchte. Dann war sie verschwunden.

Machen’s doch bittschön auf, sagte plötzlich eine tiefe Männerstimme. Wir sehen doch, dass Sie da sind!, rief die Stimme noch hinterher. Was sollte sie machen? Männer, und sie alleine. Magdalena ahnte Schlimmes. Und dann gab es doch einen Zweifel, ob man ihr tatsächlich etwas antun wollte. Warum sollten sie den weiten Weg gemacht haben, auf’s Ungewisse hin? Nur ihre Familie und ein paar Freunde wussten überhaupt, dass sie hier war.

Magdalena stand auf, begab sich zur Türe und schob den schweren Riegel zurück. Kaum war das geschehen, drängten sie zwei Männern abrupt zur Seite. Ihre Lodenumhänge warfen sie auf die Bank in der Ecke. Der Ältere griff Magdalena am Arm, dass sie leise aufstöhnte, und sagte: Sie brauchen keine Angst haben, wenn sie tun, was wir wollen. Magdalena war schreckensbleich. Das Licht der Petroleumlampe flackerte etwas und liess das Ganze noch bizarrer erscheinen als es ohnehin schon war.

Der Mann sprach nach der Schrift, war also keiner aus der Gegend. Was wollen Sie?, fragte Magdalena mit zitternder Stimme. Wir haben hier vor ein paar Wochen etwas versteckt, und das wollen wir uns jetzt holen. Dann machen’s uns etwas zu essen, und morgen früh sind Sie uns wieder los. 

Pass auf sie auf, sagte der Ältere zu seinem Kumpanen, ich hol derweilen das Zeug. Er verliess die Hütte und kam wenig später mit einem Beutel aus Leder zurück. Hat alles gut überstanden. Es ist alles noch da, sagte er zu dem Jüngeren. Sie hat uns gesehen und kann uns beschreiben. Meinst, dass das so eine gute Idee war?, fragte er den Älteren. Was schlägst denn vor?, fragte dieser. Hier heroben, da gibts eine Menge Spalten, wenn da einer reinfällt, dauert es lange, bis man ihn findet. Magdalena erstarrte ob des Gehörten. Du willst sie also auf die Seite räumen?, sagte der Ältere in die Stille hinein. Genau, pflichtete der Jüngere bei und ein schiefes Grinsen überzog dabei sein Gesicht. Gut, dann machen wir das so, gleich morgen früh.

Magdalena konnte kaum das Messer führen, als sie den Männern etwas zu essen richtete, wie sie ihr geheißen hatten. Dann kam ihr ein Gedanke. Unbemerkt schob sie eines der scharfen Messer unter ihre Schürze und trug Brot, Käse und etwas Schinken rüber zum Tisch. Zu trinken gibt’s nur Wasser, etwas anderes habe ich nicht. Die Männer stopften sich ihre Mäuler voll und sprachen nur noch Belangloses. Magdalena würdigten sie keines Blickes mehr.

Etwa eine Stunde später schoben sie das Alte Sofa und die Bank vor die Türe, schlossen den Fensterladen und schickten sich an, sich zur Ruhe zu legen. Damit Sie nicht auf dumme Gedanken kommen, sagte der Ältere. Wir schlafen hier vor der Tür und dem Fenster. Weglaufen geht nicht, verstanden? Magdalena nickte nur.

In der Nacht, als die Männer tief und fest schliefen und nur ihr Schnarchen das einzige Lebenszeichen war, das sie von sich gaben, fasste Magdalena einen Plan. Behutsam und leise ging sie zu Werk. Die Männer merkten nichts und das Schnarchen verstummte.

Am nächsten Morgen war Magdalena zeitig auf den Beinen. Es war winterlich kalt, aber es fiel kein Schnee. Ohne Hast schleppte sie nacheinander zwei längliche in Lodenumhänge gewickelte Gegenstände ins Freie und legte diese seitwärts an der Hütte ab. Danach hörte man es in der Hütte rumoren. Magdalena schrubbte den Boden und brachte Sofa und Bank wieder an den alten Platz.

Am Nachmittag nahm Magdalena den Leiterwagen, hievte die beiden Lodenpakete hinauf, und warf noch ein Seil hinterher. Nicht weit von der Hütte entfernt zeigte ein tiefer, unergründlicher Bergsee bereits die ersten Anzeichen von Eis. Das Schwarz des Wassers schimmerte durch die zarte Decke an der Oberfläche.

Geht grad noch, murmelte Magdalena, nahm das Seil, schnitt einige längere Stücke ab, schob schwere Steine in die Lodenumhüllung und verschnürte alles sehr gut. Die Arbeit war anstrengend, aber schliesslich liess sie die beiden schweren Pakete durch die Eisdecke ins Wasser gleiten. Lautlos zog es sie in die Tiefe.

Magdalena sah sich um. Spuren hatte es bei dem harten und kargen Boden nicht gegeben. Den Leiterwagen verstaute sie an seinem Platz und betrat dann die Hütte. Alles war wie immer, der Boden vielleicht eine Spur heller. Magdalena zog den Lederbeutel heran und schlug die Klappe zurück. Sie meinte, ihr Herz bleibe stehen. Geldbündel! Viele Geldbündel.

Sie nahm den Beutel, löste eine Diele vom Boden und verstaute ihn an dem Ort, der ihr des Öfteren als Versteck diente. Dann holte Magdalena eine Kerze aus dem Schrank, zündete sie an und faltete andächtig ihre Hände. Es war erster Advent.

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