Als der Lehnhartinger eines Tages bei strahlendem Sonnenschein zum See hinunterging, um sich ein wenig von den Mühen des Tages  zu erholen, machte er eine seltsame Entdeckung. Lehnhartinger oder Fonsi, wie in die Einheimischen nannten, war vom Beruf Schreiner und besass einen kleinen Betrieb im Ort. Handwerklich war er sehr geschickt und musste deshalb über Aufträge nicht klagen. An diesem Tag also, als er sich am See niederliess, und er der einzige weit und breit war, sah er es. Erst nur undeutlich, dann aber immer klarer. Wie magisch, zog es ihn an. Immer wieder musste er hinsehen.

Von der anderen Seite des Sees, wo sich in einem kleinen Freibad die Menschen tummelten, konnte man es natürlich nicht bemerken. Oft genug war er schon dort gewesen, sodass es ihm hätte auffallen müssen, wenn man es sehen könnte. Das war auch der Grund, weshalb er ganz sicher war, dass er der erste war, dem es ins Auge sprang. Das Bad war einfach zu weit entfernt, und die Nachbarn, die es vielleicht auch hätten bemerken können, kümmerten sich nicht darum. Sie liefen nicht am Seeufer herum, hatten entweder ihre eigenen Häuser oder spazierten oben am Weg.

Fasziniert überlegte Lehnhartinger, ob sich daraus ein Vorteil schlagen ließe. Vielleicht, wenn er es geschickt anstellte. Also ginge er zum Gemeindeamt und fragte, was man als Bürger im See alles machen dürfe. Er könne alles machen, gab man ihm zur Auskunft, solange er niemanden störte oder etwas täte, wozu man einer besonderer Genehmigung bedürfte, wie zum Beispiel Fischen. Das ist fein, dachte Lehnhartinger und machte sich daran, ein paar Dinge in die Wege zu leiten.

Am Sonntagmorgen traf sich das ganze Dorf in der Kirche. Die Sonntagsmesse war Pflicht und es gab nur wenige, die sie versäumten. Der Pfarrer mahnte in seiner Predigt mehr Mitgefühl für jene Menschen an, die vom Wohlstand weniger gesegnet wären oder die ein Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen hätte. Einigen nur fiel es auf, dass der Lehnhartinger heute nicht zur Messe gekommen war.

Dieser war indessen zum See gegangen und hatte eine große Plane ausgebreitet. Dann paddelte er auf einem Surfbrett liegend mit den Händen ein paar Meter hinaus. Angetan mit einer Taucherbrille suchte er den Grund des Sees ab. Da! Kein Zweifel, das waren die Kisten, deren Bild er an der Oberfläche, von den Bewegungen des Wassers verzerrt, beobachtet hatte. Er würde sie heraufholen, eine nach der anderen. Dann auf die Plane hieven, öffnen, und sehen, wie er deren Inhalt am besten transportierte. Vielleicht alles auf die Plane kippen, einen Sack bilden, verschnüren, und wegschleifen.

Die Messe ging zu Ende und die Menschen strömten aus der Kirche. Verdutzt sahen sie auf einen Mann in der Ferne, der sich bei näherem Hinsehen als Lehnhartinger entpuppte. Und noch etwas fiel den Leuten auf: Lehnhartinger zog einen Sack hinter sich her. Eigenartig, wo wollte nur hin?

Lehnhartinger kam näher, und die Menschen verlangsamten ihren Schritt, bis sie schliesslich stehen blieben. Vor der Kirche, von der sie gerade kamen, öffnete Lehnhartinger die Verschnürung und breitete die Plane aus. Neugierig drängten die Kirchenbesucher heran.

Der Pfarrer bemerkte den Menschenauflauf vor seiner Kirche und ging hinaus, um deren Ursache zu ergründen. Was er gleich darauf sah, liess seinen Atem stocken. Menschenleiber, kleine Menschenleiber, Kinder! Entsetzt kam er näher und schob die Neugierigen beiseite. Dann sah er Lehnhartinger, der mit jemandem sprach. Lehnhartinger, was ist los hier?, rief er. Langsam drehte sich Lehnhartinger um und starrte dem Pfarrer ins Gesicht. Nach was sieht’s denn aus?, fragte er.

Jetzt erst gewannen die Gegenstände auf der Plane an Klarheit, und der Pfarrer sah, dass ihm seine Sinne wohl einen Streich gespielt hatten. Nicht Menschenleiber lagen da, nein, es waren Puppen. Große und kleine Puppen. Manche bekleidet, andere nackt. Was hat das zu bedeuten, Lehnhartinger?, wollte er wissen. Das ist eine gute Frage, antwortete dieser. Wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen gerne sagen. Jemand hat diese Puppen in Kisten verpackt und im See versenkt. Und ich habe sie heute Morgen daraus befreit. Das ist alles, was ich dazu sagen kann!

Die Leute schauten verdutzt, manche ungläubig. Wer sollte das gewesen sein und zu welchem Zweck? Was machen wir jetzt damit?, fragte der Pfarrer unschlüssig. Ich hab‘ sie gefunden und rausgeholt. Sie gehören jetzt mir, und ich überlege, ob ich sie verkaufe. Vielleicht behalte ich sie aber auch. Sind doch jetzt eine Attraktion: Die Puppen vom Pilsensee!

Mittlerweile hatte sich ein Polizeiwagen eingefunden und zwei Streifenbeamte stiegen aus. Sie waren schnell ins Bild gesetzt und meinten: Nix da. Da wird nix verkauft. Wir nehmen das Zeug mit und verständigen die Kriminalpolizei. Wozu die Kriminalpolizei?, fragte Lehnhartinger. Denken Sie, jemand hat die Puppen ermordet? Lauthals brüllte Lehnhartinger los, und auch die Umstehenden konnten jetzt nicht mehr an sich halten und stimmten mit ein. Selbst der Pfarrer konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Als er wieder aufblickte, sah er, wie zwei Männer und eine Frau sich bemühten, aus einem Wagen, mit der Aufschrift Bayerisches Fernsehen, eine Kamera zu entladen und in Position zu bringen. Die Frau hielt ein Mikrofon in der Hand und kam auf Lehnhartinger zu.

Sind Sie der Mann, der diesen ominösen Fund gemacht hat?, fragte die Frau und erklärte für die spätere Sendung, was sich zugetragen hatte. Haben Sie eine Erklärung dafür?, fragte sie weiter und ging hinüber zu den beiden Polizisten, die schon damit begonnen hatten, alles im Kofferraum des Wagens zu verstauen. Der Puppenmörder vom Pilsensee, nehmt euch in acht Leute!; rief jemand aus dem Publikum, und wieder fingen alle an, hellauf zu lachen. Auch das Kamerateam stimmte mit ein.

Nach einer Weile rief wieder jemand etwas in die Runde. Das Gelache und Stimmengewirr war derart hoch, dass der Rufer seine Botschaft wiederholen musste, um sich Gehör zu verschaffen: Da drüben, schaut’s nur! Die Köpfe wandten sich in die angezeigte Richtung. Aus einer Buschgruppe traten einige Personen hervor. Einer führte ein Mikrofon und Aufnahmegerät mit sich. Für jeden erkennbar, war hier ein weiteres Fernsehteam am Werk gewesen. Guten Morgen!, rief der mit dem Mikrofon: Willkommen bei der versteckten Kamera! 

Lehnhartinger freute sich; das Fernsehen hatte ihm einen schönen Betrag bezahlt, als er ihnen sagte, was er vorhabe und was sich in den Kisten befände. Die Puppen gehörten jetzt ihm. Die Polizei hatte kein Interesse mehr daran. Aufgeklärt wurde der mysteriöse Fund jedoch nie. Später machten sich Gerüchte breit, in den Puppen wären Diamanten und wertvoller Schmuck versteckt gewesen. Da war der Lehnhartinger aber schon längst aus der Gegend weggezogen, und niemand wusste, wohin.