Mitwirkende:

Ignatius, ein Mann aus dem Dorf

Veronika Grünveitl, ein politisches Sternchen

…und andere, Frauen und Männer aus Dingharting

Auf dem Land

 Die Menschen, also alle unsere lieben und weniger gern gemochten um uns herumwieselnden Zeitgenoss(inn)en, haben mehr oder weniger (davon) eines gemeinsam: einen Kopf mit Hirn.

Auf dem Lande nun, wer würde bestreiten, dass solches beständig kolportiert wird, sei der Mensch oder auch der Menschenschlag genannt, ein völlig anderer als in der Stadt.

Nun, weder ein Studium der Philosophie noch eines der Soziologie noch irgendeines anderen akademischen Zirkels ist von Nöten, um sich selbst ein Bild der Verhältnisse zu machen.

Wenn wir selbiges uns nicht nur vornehmen, sondern tatsächlich auch tun, dann verblassen etwaige, vorgefasste Differenzierungen in dem Maße, wie wir uns in die Materie hineinvertiefen.

Jeder Interessierte darf getrost darauf vertrauen, dass es zwischen den in der Stadt und auf dem Lande Beheimateten gehirninhaltlich keine Unterschiede oder Auffälligkeiten gibt. Sollte es also so sein, dass ein unvoreingenommener Betrachter trotzdem unterschiedliche Verhaltensmuster feststellen würde, so kann dies folglich nicht am Gehirn selbst liegen, sondern muss auf Ursachen zurückzuführen sein, die fern jener Leiblichkeit zu finden sind.

Die Geschichte

 Ignatius, in Dingharting nicht von ungefähr auch als der „G’spinnerte“ bezeichnet, genoss den Ruf eines Querulanten oder anders ausgedrückt, eines G’scheidhaferls, weshalb es nicht selten vorkam, dass man ihn bei Versammlungen, gleich welcher Art, gar nicht erst zu Wort kommen ließ.

In der über Jahrhunderte gewachsenen bayerischen Demokratie ist es durchaus nicht unüblich einen Redebeitrag ganz einfach und doch rigoros mit einem schlichten, halt’s Maul, zu unterbinden. Und je nachdem, wer ein solch weitreichendes Veto einbringt, wird diesem entweder Folge geleistet oder, falls nicht, kann es zu einer der weithin bekannten Wirtshausschlägereien kommen und zwar solange, bis sich eine aufrichtig um demokratischen Diskurs bemühte Mehrheit durchgesetzt hat. Hat die Minderheit gewonnen, nur um auch diesen Fall geklärt zu haben, dann müssen sie die Stärkeren gewesen sein, was aber letztlich zum gleichen Ergebnis führt.

Jetzt mag ein Leser einwenden, dass so ein gewaltbereites Verhalten doch etwas mit dem Gehirn zu tun haben müsse, weil selbiges in der Stadt nicht vorkomme. Allerding, könnte hierzu angemerkt werden, dass im Gegenzug die Mord- und Totschlagrate gerade in der Stadt um ein Vielfaches höher ist.

Wie wir uns auch bemühen, ein unwiderlegbarer Beweis für eine gehirnbezogene Deformation lässt sich nicht beibringen, weder bei denen, die da, noch bei denen, die dort leben.

Veronika Grünveitl, seit geraumer Zeit jedermanns liebstes Kind, gerade mal um die dreißig, fesch anzuschauen, besonders auch im heimischen Dirndl, bei dem seit jeher an bestimmten Stellen großzügig mit Stoff gespart wird und so den gierigen Blicken der Männer kaum Einhalt zu gebieten ist, war sie urplötzlich, wie das Karnickel aus dem Zylinder, auf der politischen Bühne erschienen.

Paradox war es, so empfanden es jedenfalls die Dinghartinger (männlich und weiblich), dass Veronikas Familienname so gar nichts mit der Partei am Hut hatte, der sie angehörte. Veronika war und ist ein schwarzes Urgestein. Diese Feststellung berücksichtigt, zugegebener Maßen, noch nicht den Wandel des Bayerischen Ministerpräsidenten hin zum Bienenkönig, wie er kürzlich bei einer Faschingsveranstaltung bezeichnet wurde.

Und gerade, als sie anhob, beim politischen Frühschoppen, eine gesalzene Rede gegen die Unverfrorenheit der anderen politischen Gruppierungen anzustimmen, sich etwa nicht dem Platzet der schwarzen Mehrheit fügen zu wollen, platzte der Ignatius dazwischen.

„Ja, hoit doch einfach dei Bappn (Maul, loses Mundwerk – für nicht Bayern)“, plärrte er ziemlich ungestüm hinein in des Veronikas der Rede vorangehenden ersten tiefen Atemzug.

„Hoit selba s’Mei (Maul)“, brüllte es sogleich vom Nebentisch, „lass doch erst amoi red’n, du Hanswurscht, du trauriger!“

Und sogleich fing es an, zu brodeln. Förmlich riechen konnten die Anwesenden die in der Luft hängende mittelschwere Schlägerei, die sogleich, vornehmlich auf die männlichen Schädel, herniederprasseln würde. So manche Faust weiß, um den Griff des Maßkruges gekrallt, war bereit diesen sofort und ohne zu zögern als Schlaginstrument einzusetzen. Bei Zeiten haben findige Hersteller deshalb in die Krüge eine Sollbruchstelle eingebracht, um das ärgste Blutvergießen zu vermeiden.

Aber, oh Wunder, nichts dergleichen geschah!

Veronika war Herr der Lage (Frau der Lage klingt komisch, obwohl sie es zweifellos war). Scharf wie eine Klinge fuhr sie dem Ignatius über den Mund, unterband jeden weitern Einwand mit einer unmissverständlichen Geste, und lehrte dem jetzt Schweigenden das Staunen.

„Na ja, wer denn sonst? Natürlich, wie immer, der Ignatius! Nix im Hirn, aber s’Mei aufreißen! So mögen wir des, weil bei uns no a jeda Depp hat sag’n dürfen, was ihm grad so in den Schädel kommt. Aber jetzt is Schluss damit, ham mia uns da verstand’n?“

Der Ignatius, grad noch ziemlich vorlaut, klappte seinen Mund zu und sagte erst einmal nichts. Dieses Veto (siehe oben) war eindeutig. Und Ignatius hielt sich an die Regeln.

Hinweis: Der Ausspruch, nix im Hirn haben, bezieht sich weniger auf die anatomische Ausformung des Organes, als vielmehr auf das individuelle Unvermögen, es hinreichend mit fundierten Gedanken füttern zu können.

Und so durfte Veronika Grünveitl, ob ihrer Intervention, beinahe ohne weitere Unterbrechung von sich geben, was jeder im Gasthaus schon dutzende Male gehört hatte und sicher noch dutzende Male hören wird. Die Schwarzen waren die Besten, die Größten und überhaupt, die mit dem Volk am Verbundensten. Eine andere Partei neben ihnen völlig sinn- und zwecklos und wenn es denn unbedingt sein musste, dann sollten ihnen in Gottes Namen halt jene eine Stimme geben, die nicht gescheit denken konnten, also, wie bereits ausgeführt, nix im Hirn hatten.

Am Ende klatschten sie schließlich alle, auch der Ignatius übrigens. Danach befragt, wurde er ganz philosophisch. „I hob hier koa Mehrheit, no ned a moi a Minderheit. I hob hier nix, verstehst? Und wenn‘st bei uns nix host, dann bist neamands, host me (hast mich verstanden)?“

Ja, der Fragesteller verstand den Ignatius nur zu gut. Langsam löste er die gekrampfte Faust vom Krug, froh, diesen nicht als Schlaggerät eingesetzt haben zu müssen.

Er, der von einer Zeitung aus der Stadt herausgekommen war, wunderte sich einmal mehr, mit welcher Eloquenz in Bayern Dinge doch einvernehmlich zu regeln waren.

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