Bei 600 Metern begannen Flinserl von weißem Schnee Bäume und Wiesen zu bedecken. Je höher die Männer stiegen, desto fester wurde die Schneedecke, bis es schließlich einige hundert Meter weiter oben schon ordentlich unter den Schuhsohlen knirschte. Unten am See hatte es in der letzten Woche noch einigen Regen heruntergeprasselt, aber dort, wo sie jetzt ihre Vorbereitungen treffen wollten,  war der Winter nicht mehr fern.

Meint ihr, er wird liegenbleiben, fragte einer der Männer in die Stille hinein, die nur durch das stapfende Geräusch der schweren Stiefel unterbrochen wurde. Kann man nicht sagen, meinte ein anderer. Dann schleppten sie sich, einem schmalem Pfad folgend, weiter hoch, bis eine unscheinbare, festgefügte Hütte in ihr Blickfeld trat.

Eigentlich war es für ihr Vorhaben egal, ob der Schnee Bestand haben oder bereits von einer nächsten Regenwand weggespült würde. Wichtig war nur, dass niemand ihr Werk vorzeitig aufdeckte. Georg Fuchs, ihr Anführer, war in den vergangenen Tagen schon ein paar Mal hier oben gewesen. Die Jagdhütte eines Freundes war das ideale Versteck für ihre Utensilien. Das trübe Licht einer Taschenlampe gab den Blick frei auf Rollen von Draht, längsseits der Wand unter einem Fenster aufgereiht, dessen schwere Läden verriegelt waren, Beutel mit Sprengzündern, Sprengpatronen und schließlich einige längliche Kästen mit einer Kurbel am Ende, und Feuerwerkskörper.

Zwei Petroleumlampen lösten die Taschenlampe ab und erhellten die bärtigen, dem Fuchs Georg zuwandten Gesichter, als er seine Anweisungen erteilte. Passt mir gut auf, dass die Zünder richtig sitzen und die Drähte genügend fest mit den Kontaktbuchsen an den Kurbelkästen verbunden sind. Sonst wird des nix mit unserm Spass! Die Männer nickten beifällig und ein gemeines Grinsen umspielte ihre Münder. Dann machten Sie sich jeweils zu zweit, mit dem Material aus der Hütte bepackt, in verschiedene Richtungen auf. Wenn’s fertig seid’s, treffen wir uns wieder hier in der Hütt’n. Und schaut’s, dass man die Drähte net sehen kann, auch wenn’s kein Schnee hat!

Der Fuchs Georg blieb in der Hütte zurück. Sie brauchten ihn nicht für ihre Arbeit und die Kraxlerei, noch dazu des nachts. Das war nichts mehr für ihn. Sie mussten schon aufpassen. Ein falscher Tritt, und …, aber er sorgte sich deshalb nicht. Sie waren allesamt gestandene Männer.

So etwa eineinhalb Stunden später kamen die ersten zurück und bald waren sie wieder alle versammelt. Der Fuchs Georg hatte in der Zwischenzeit eine Brotzeit hergerichtet, Speck, Käse und Brot. Bier und Schnaps gab’s immer auf der Hütte. Einer von Fuchses Freunde fuhr den Proviant gelegentlich mit dem Auto hoch. Alles erledigt, berichteten sie nacheinander und der Fuchs Georg war es zufrieden.

Ein paar derbe Witze flogen hin und her und das bevorstehende Spektakel wurde mit zunehmendem Schnapskonsum hinreichend eifrig beredet. Es bleibt dabei, sagte der Fuchs dann in die lärmenden Männerstimmen hinein. Am Dreissigsten, zwei Stunden vor Mitternacht treffen wir uns unten am Wildbach Steig. Seid’s pünktlich, damit die Leut‘ genau um Mitternacht auch was ham von unserm Spass! Und rauf müssen wir ja schliesslich auch noch laufen. A Auto können wir halt leider keines nehmen, bei dem, was wir vorhaben!

Sorgfältig löschten sie die Lampen, verschlossen die Hütte und machten sich auf den Weg hinunter. Es war sternenklar, was ihnen Aufstieg und Arbeit erleichtert hatte. Sie trugen keine Umhänge heute, nur feste Joppen, aber keinem war es kalt. Der Schnaps und das Laufen heizten zur genüge. Unten verloren sie sich und jeder kam nach hause, wie er hergekommen war.

Kaum hatten die Männer die Hütte verlassen, löste sich schemenhaft eine Gestalt, die bis dahin hinter einem Baum gekauert hatte. Der Kleidung nach hätte es einer der ihrigen sein können, aber er war es nicht. Bei genauem Hinsehen konnte man eine Büchse erkennen, die der Mann geschultert hatte und einen Rucksack trug er. Dann verschluckte ihn schon die Finsternis.

Aus den wenigen Wortfetzen, die aus der Hütte gedrungen waren, hatte sich der Beobachter keinen rechten Reim auf die Zusammenkunft der Männer machen können. Sie hatten etwas vor, so viel war klar, aber was? Sollte es ihn kümmern?, fragte er sich. Vielleicht, dachte er, aber er hatte erst einmal selbst genug damit zu tun, das Stück Wild in seinem Rucksack unerkannt nach unten zu bringen. Ich gehe morgen bei Tageslicht noch einmal herauf. Der Mann hatte ein Gespür dafür entwickelt, wenn etwas faul war. Vielleicht ließe sich eine bare Münze herausschlagen? Mit gemischten Gefühlen schritt er hinab.

Dann stockte sein Schritt. Er sah, wie sich die Männer aus der Hütte in der Dunkelheit verloren und jeder scheinbar einem anderen Ziel zustrebte. Gerade als er einen Fuss vorsetzen wollte, um weiter  zu gehen, knackte ein Ast hinter ihm. Erstarrt blieb er stehen und hob leicht die Arme, gewärtig, im nächsten Moment herum zu schnellen und dem Unbekannten gegenüber zu stehen. Lass‘ bleiben, vernahm er eine eisige Stimme. Meinst, wir haben dich nicht bemerkt? Denkst, du bist ein ganz Schlauer? Nur ein Mucks und du hast a Ladung Schrot im Hintern! 

Auf Geheiß warf der Mann seine Flinte und den Rucksack auf den Boden. Jetzt rüber da, an den Baum!, befahl die Stimme. Flinke Finger tasteten ihn ab. Sein Hirschfänger flog zu den anderen Utensilien. Es mussten zwei Männer sein. Dann wieder die Stimme. Bleib schön am Bau gelehnt, die Haxen g’spreizt. Was willst von uns? Warst oben an der Hütte? Hast uns belauscht? Und wildern tust auch noch! Ja, was machen wir denn da mit dir?

Dem Mann wurde es heiß, als er das Spannen des Hahnes am Gewehr vernahm. Dreh dich um!, wies ihn die Stimme jetzt an. Er tat, wie ihm befohlen und riss erschrocken die Hände vors Gesicht, als ihn unvermittelt der Strahl einer Lampe traf. Na, da schau her! Du bist des. Wer hätte das gedacht? So ein ehrwürdiger Mensch. Behalt für dich, was’d gehört und gesehen hast, dann drück’ma beide Augen zu. Wenn net, dann … !

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