Seit jeher wird um die Weihnachtszeit der Sendlinger Mordweihnacht gedacht. Das schon. Aber den Männern um Georg Fuchs reichte das nicht. Sie verlangten Anerkennung. Schließlich waren es ihre Vorfahren gewesen, die unsäglich zugrunde gehen mussten, ihrem Wahlspruch folgend: Liaba bairisch steam als kaiserlich verdeam! (Lieber bayrisch sterben als kaiserlich verderben). Allein in Sendling soll es über 11oo Tote gegebne haben – niedergemeuchelt von des Kaisers Truppen, obwohl sich die Aufständischen bereits ergeben und ihre Waffen abgelegt hatten. Insgesamt waren am Ende des dreiwöchigen Aufstandes über 10.000 Tote zu beklagen. Das war dem Kaiser Joseph I nicht zu verzeihen!und natürlich generell der Obrigkeit nicht.

Am 30. November tat sich etwas in den Bergen am See bei Kochel. Zur vereinbarten Zeit, zwei Stunden vor Mitternacht, trafen die Männer am Wildbach Steig ein. Wieder waren sie aus allen Richtungen und Landesteilen gekommen. Der Erste Advent ging dem Ende entgegen. Feuchter Nebel hing über’m Wildbach. Gerade so viel, dass die Männer in ihren Umhängen aus derbem Stoff nur schemenhaft zu erkennen waren. Manche hatten Büchsen geschultert, andere sah man mit kurzläufigen Böllern. Einige schleppten schwere Rucksäcke. Eine düstere Laterne an einem Ende des Steigs erhellte die Szene. Sie sprachen kaum etwas. Überhaupt erweckten die Männer den Eindruck, als würden sie ihr Treiben nicht gerne öffentlich machen. Verschworen sah es aus, wenn sie sich mit Handzeichen verständigten, um dann mit einem Mal schließlich in der Dunkelheit der Nacht zu entschwinden.

Mehr als ein gutes Dutzend stapften sie hinter dem Fuchs Georg drein. Immer weiter ging es hinan und manch einer schnaufte schwer unter der Last des Mitgeführten. Gleich haben wir’s, Leut!, sagte der Fuchs Georg und schon bald trat die Hütte ins Blickfeld der Männer. Das heißt, viel war nicht zu sehen. Wolken waren aufgezogen und nur wenig des spärlichen Mondes drang hin und wieder durch.

Das schwere Vorhängeschloss gab die Türe frei und die Männer drängten in die Hütte. Rucksäcke, Büchsen und Böller stapelten sich in einer Ecke, die Lodenumhänge fanden ihren Platz an Haken, die grob in die Wand aus Bohlen gehämmert waren. Petroleumlampen ließen alles in einem bizarren Licht erscheinen. Mach‘ ma a Feier?,  fragte einer und schon bald prasselten die Scheite im Herd. Was sie alles hochgeschleppt hatten! Geräuchertes, Würste, Käse und Brot. Dazu jede Menge Bier, dunkles und helles. Ja, so ein Abend wollte gefeiert sein.

Passt’s auf!, sagte der Georg und erteilte seine Anweisungen. Punkt Mitternacht lass‘ mas rump’sn, dass es unten am See no hörn! Unsere Mahnschriften sind verteilt und wenn’s nachher nausrennen, um des Spektakel zu erkunden, dann werden’s wissen, warum! 

Es war noch Zeit und die Männer nahmen ausgiebig von dem Mitgebrachten, unterbrochen vom Schnalzen der Schnappverschlüsse an den Bierflaschen. Dann war es soweit. Bis auf den Fuchs Georg verschwanden alle aus der Hütte und jeder schien genau zu wissen, wohin er in der Finsternis zu gehen hatte – nicht ungefährlich in den Bergen.

Da, grad als die Männer ihres Weges gehen wollten schoss gleissendes Licht auf die Hütte. Bleibt’s wo’s seid’s!, befahl eine durchdringende Stimme aus einem Lautsprecher in die Stille der Nacht. Schockiert blieben die Männer wie angewurzelt stehen. Minuten später waren sie von Polizei in Uniform eingekreist. Hammas eich versalz’n?, fragte einer der Uniformierten und klärte darüber auf, dass man behördlicherseits den vorgesehenen Spektakel unterbinden wolle. Jemand hat uns eps g’steckt oder a Schweiberl hats pfiffen! Taghell erleuchteten die Polizeischeinwerfer das Gelände, sodass es kein Entrinnen für die Männer gab.

Dann packt’s euer Zeug! Gemma owa nach Kochl, auf’d Wach!, befahl der Uniformierte den Männern und stapfte los. Die Männer hatten keine Wahl, auch wenn es sie hundsgemein ärgerte, jetzt noch, kurz vorm Ziel, erwischt worden zu sein. Das konnte ja bloss dieser Hundsfott gewesen sein, der sie bei ihrem letzten Treffen belauscht hatte. Na wart du Birscherl. Des hast net umsonst g’macht!, sagten sich die Männer insgeheim, warfen ihre Umhänge um die Schulter und schritten hinter den Uniformierten her.

Das Schloss war wieder angebracht und die Hütte lag im Dunkeln, aber niemand von der Polizei hatte registriert, wie sich der Fuchs Georg zusammen mit einem der Gesellen blitzschnell aus der Hütte entfernt und hinter ein paar Bäumen versteckt hatte. Sie warteten eine Weile, bis von den bergab Schreitenden nichts mehr zu hören war und auch die Fahrzeuge mit den Scheinwerfern den Ort verlassen hatten, dann gingen sie zurück zur Hütte. Es gibt noch einen versteckten Reserveschlüssel, sagte der Fuchs Georg zu seinem Kumpanen.

Schnell packten sie ihre Rücksäcke, die von der Polizei niemand beachtet hatte und schritten hinaus in die finstere Nacht. Wir haben noch zehn Minuten, sagte der Fuchs und die beiden Männer hetzten weiter nach oben. An einer Gabelung bedeutete der Georg dem anderen nach rechts zu gehen. Er selbst nahm den Weg nach links. Weissst no, wo der Kasten steht?, fragte er sicherheitshalber. Der Kumpane nickte nur und war schon von der Dunkelheit verschluckt.

In der Minute, als die Polizei mit ihrem Gefolge die Wache in Kochel erreichte, tat es einen fürchterlichen Rumps und gleich darauf noch einen und noch einen. Es schien, als würde es gar nicht mehr aufhören wollen. Oben in den Bergen sah man grelle Blitze zucken, bevor der Donner gewaltiger Detonationen den Weg die Hänge hinunter nahm, um schließlich die Menschen im Ort aus ihren Betten zu reißen. Verdutzt blickten die Polizisten nach oben, dorthin, von wo sie gerade herkamen, dann auf die Männer, die höhnisch lachend fragten, was da wohl vor sich ginge.

In Windeseile lief der ganze Ort zusammen und versammelte sich am Schmied von Kochel Denkmal. Was los ist, wollten die Leute wissen, aber die Polizisten konnten es auch nicht sagen.  Dann sah man die Zettel, die über den ganzen Platz verteilt, umherlagen. Jetzt wussten sie es. Ein Bund der Angehörigen der Opfer der Sendlinger Mordweihnacht, so stand es da zu lesen, wollte auf das erlittene Unrecht ihrer Vorfahren hinweisen und die Bayerische Staatsregierung auffordern, im nächsten Jahr zum 310. Jahrestag des Massakers, eine Ehrenerklärung für die Aufständischen von damals abzugeben. Sonst wiederholen wir die heutige Nacht, bis wir gehört werden!, war am Schluss noch zu lesen.

Die verdatterten Polizisten hatten wegen der aufgeregten Anwohner für eine Weile die zu Tale geführten Männer aus den Augen gelassen. Jetzt waren sie fort. Verschwunden, als hätte es sie niemals gegeben. Scheisse!, entfuhr es einem der Uniformierten und ein anderer stimmte mit einem Lachen im Gesicht ein: Des kannst laut sagen, aber machen kannst nix mehr. Weg is weg. De wer’n mia nimma finden! 

In den Zeitungen, im Rundfunk und im Fernsehen wurde darüber berichtet und in den Wirtshäusern eifrig diskutiert, sogar in München, der Landeshauptstadt, war das Thema Gesprächsstoff. Es ging sogar soweit, dass Bayerns Heimatminister kundtat, zur Weihnacht 2015 eine angemessene Verlautbarung abzugeben.

Das wär es beinahe gewesen, mit einer Ausnahme. In einem örtlichen Wirtshaus soll es an mehreren Sonntagen hintereinander zur Mittagszeit zu merkwürdigen Zusammenkünften gekommen sein. Ein gewisser Georg Fuchs soll dort mit zahlreichen Männern als Gast des Wirtes gesehen worden sein. Es soll geschmaust und getrunken worden sein, was das Zeug hielt. Und sogar später noch soll es dort fortan einen Georg Fuchs Stammtisch gegeben haben.

Die Polizei hat übrigens niemals erfahren, wer die anonyme Anzeige in den Briefkasten geworfen hatte. Der Fuchs Georg wusste es, aber ihn fragte niemand danach. Und hätte man ihn danach gefragt, hätte er es nicht gewusst!

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