Es gab einmal Zeiten, da haben die Menschen in unseren Breiten noch an Gott geglaubt. Die Eltern oder andere Autoritäten hatten es ihnen so beigebracht. Könige und Fürsten schmückten sich gerne mit kirchlichen Würdenträgern im Gefolge, die ihrerseits für diese Ehre nicht mit göttlichem Segen geizten.

Es muss um diesen Dreh herum gewesen sein, als im Oberbayerischen der Zirngiebelhof entstand. Ein nach Scharmützel dürstender Großfürst stellte für seine Absichten ein streitbares Heer zusammen, mit dem er gen Osten zog, um einem nicht minder streitbaren, fürstlichen Zeitgenosse, um dessen Hab und Gut zu bringen. So kam es, dass nach gewonnener Schlacht der Heerführer Zirngiebel von eben diesem Großfürsten mit einem ansehnlichen Lehen bedacht wurde. Genaues ist nicht überliefert, nur das, was über Generationen hin der Vater dem Sohn weitertrug. Die Bauersfrauen der damaligen Epochen mussten nicht nur am Hof schwer arbeiten, sie bekamen zudem noch Heerscharen von Kindern, sodass es immer auch einen Sohn gab, der das Erbe fortführte.

Geschickt war der Zirngiebel nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch mit seinem Lehen.  Schon bald erbrachten seine Äcker die besten Ernten weit und breit. Der Großfürst sah es mit Wohlgefallen und unterstütze seinen Heerführer mit der Gabe billiger Tagelöhner und anderer fürstlicher Wohltaten. Als dann später aus den Lehen Eigentum wurde, war der Zirngiebelhof der größte im Gau.

Im letzten Jahrhundert soll einer der Nachfahren nun ein besonders hartherziger Mann gewesen sein. Die Söhne mussten von früh bis spät bis zum Umfallen schuften und die Frau hatte nichts zu vermelden. Der Hof wuchs und wurde größer und größer. Niemand, der es gewagt hätte, sich dem Zirngiebel in den Weg zu stellen. Als der Zirngiebel älter wurde und die Zeit nahte, wo er ans Übergeben denken musste, fing er damit an, überall in Haus und Hof kleine Tafeln, Marterl genannt, aufzuhängen. Er beauftragte Holzschnitzer damit, immer neue Marterl mit neuen Segenssprüchen anzufertigen.

Eine unbändige Angst frass sich in der Seele des hartherzigen Mannes fest und er glaubte, die zahlreichen Segenssprüche würden ihn vor Ungemach bewahren. An seine Familie dachte er dabei nicht, nur an sich. Bald schon fing die Angst an, ihn aufzuzehren. Sein stattliches Äußeres zerfiel zusehend. Aus dem groß gewachsenen Zirngiebel Bauern wurde ein kümmerliches Wrack. Die Leute machten eine Bogen um ihn. Seine Söhne und Töchter setzten sich ab und selbst seine Frau wollte nicht mehr mit ihm sprechen. Keine Familie im Gau wollte ihre Kinder mit denen der Zirngiebel verheiraten. Die Anzahl der Marterl nahm unaufhaltsam zu, bis es kaum noch einen Fleck gab, an dem eines Platz gehabt hätte. Ihre Segenssprüche indessen halfen nichts.

Bei sich konnte er eine Schuld nicht finden, also mussten Frau und Kinder die Übeltäter sein. Finstere Pläne keimten in Zirngiebels Gedanken auf und begannen, sich zu verfestigen. Hauptschuldige war seine Frau. Sie hatte ihm diese undankbare Brut in die Welt gesetzt. Arbeitsscheue Nichtsnutze, die vorgaben, wunder, was sie täten, in Wirklichkeit aber durch ihre Faulheit das Vermögen ruinierten. Erst die Frau, dann sie. Sein Entschluss stand fest.

Mit seiner Frau, das würde einfach gehen. Sie war ohne Argwohn. Er würde sie hinaus locken in den Wald, ein Messer in der Hand und mit einem schnellen Griff ihr Leben beenden. Soll sie in der Hölle schmoren für das Ungemach, das sie ihm bereitete. Zeit für ein letztes Gebet würde es nicht geben. Dann seine Töchter und zum Schluss die Söhne.

Was soll mit dem Hof werden?, fragte in ganz unvermittelt eine Stimme in seinem Innersten. Verwundert rieb sich Zirngiebel die Augen. Was war los? Er hatte schon davon gehört, dass es so etwas gäbe, aber bei sich selbst noch niemals erlebt. Eine Stimme, woher kam sie? Soll zu Ende sein, was deine Vorfahren einst begannen? Willst du ihnen so entgegentreten, dereinst im Jenseits? Eiskalt fuhr es dem Zirngiebel den Rücken rauf und runter. Es stimmte ja, das hatte er nicht bedacht. Den Ältesten musste er verschonen. Jetzt die Frau, war er wieder der hartherzige, alte Mann.

Das Messer versteckt in den Taschen seines Mantels, schlich er vom Hof. Einen Zettel hatte er ihr in die Schürzentasche gesteckt, sie solle ihn am Teich aufsuchen um die Mittagszeit, er habe mit ihr zu reden. Schnell würde es gehen, er hatte alles vorbereitet. Ein Sack, mit Steinen gefüllt, lag bereit. Da hinein wollte er ihre tote Hülle stecken und im Teich versenken. Niemand würde sie je wiederfinden.

Von Weitem schon sah er sie heran schlurfen. Eine alte gebeugte Frau. Sie würde ihm keinen Wiederstand leisten können. Einmal vielleicht zweimal, das sollte reichen, malte er sich seine Gräueltat aus. Erregung überkam ihn, das war ungewohnt und angenehm zugleich. In wenigen Minuten würde es geschehen und ein Übel weniger auf Erden sein. Jetzt kam sie um die Biegung, direkt auf ihn zu. Nur noch ein paar Schritte. Sie konnte ihn nicht sehen, rief seinen Namen. Vorsichtig zog er das Messer aus der Tasche und machte sich bereit.

Was willst du Zirngiebel, rief sie, mich töten, meinst, ich durchschau dich nicht? Wie willst es machen, mit einem Messer vielleicht? Dabei lachte sie böse aus ihrem zahnlosen Mund. Nur zu du Feigling! Du hartherziges Ungetüm! Glaubst, wenn ich nimmer mehr bin, ginge es dir besser? Einen Schweissdreck wird es das. In der Hölle wirst schmoren, schon jetzt, zu Lebzeiten!

Wie gelähmt stand der Zirngiebel, das Messer in der Hand, hinter einem Baum. Plötzlich fror es ihn. Diese Stimme! Nein, er konnte es nicht tun. Weg von hier, nichts wie weg von hier, weg von diesem Ort der Schmach. Hass stieg in ihm auf. Wieder war sie ihm über gewesen. Dieses Weib, die alles Unglück über ihn gebracht hatte. Mit einem letzten Aufbäumen stürzte er hinter dem Baum hervor auf sie zu, riss das Messer hoch und …

Eine kleine Wurzel, als er zustechen will und ein Ende bereiten, die Schmach hinter sich lassen. Eine kleine Wurzel. Er sieht sie nicht. Als er den Arm mit Schwung nach vorne stösst, fängt sich sein rechter Fuß in dieser Wurzel. Er sieht die Erde auf sich zurasen, als er fällt. Dann ist es aus, zu Ende. Ein Blutstrom quillt aus seinem Körper. Seine Frau rührt sich nicht, schreckensbleich ist sie im Gesicht. Noch einmal zuckt sein Körper, dann ist er tot. Kaum sichtbar ragt der Knauf des Messer aus seinem Bauch.

Seine Frau und die Kinder begraben ihn, keine Geistlichkeit, keine Messe. Das harte Herz war nicht mehr. Sie schauen sich an und schütteln den Kopf und einer der Söhne sagt: Und trotzdem war’s der Vater.

Foto: Hans K. Reiter