Als König Ludwig der Bayer am 1. Mai 1327 in Como den Walstätten Uri, Schwyz und Unterwalden das Reichsprivileg einer Reichsvogtei ohne Reichsvogt ausstellte und sie damit zum Dank für die gewährte Unterstützung im damaligen Hickhack der süddeutschen Gebiete privilegierte, konnte niemand wissen, dass hierdurch der vielleicht entscheidende Anstoß für die eidgenössische Entwicklung der späteren Schweiz erfolgt war. Ludwig der Bayer dachte ganz sicher nicht in diese Richtung. Er hätte es auch gar nicht gekonnt, denn Staaten und Nationen, wie die Welt sie heute kennt, waren nicht existent. Stattdessen trachtete er danach, den Einfluss der Habsburger in den sogenannten Waldstätten zu schwächen.

Mörderisch ist es zu dieser Zeit landauf, landab zugegangen. Fürsten, Herzöge, Könige und anderes Edelvolk lieferten sich unablässig Schlachten. Die Ritter hatten eine Menge zu tun. Viele überlebten ihr Engagement allerdings nicht. Die Heere der Edlen zählten jeweils ein paar hundert Mann und rekrutierten sich aus allen Schichten. Schutz- und Trutzbünde wurden geschlossen und wieder verworfen, um in neue einzumünden. Uri, Schwyz und Unterwalden waren ein solcher Bund und sie trotzten vornehmlich den Habsburgern, aber auch die nächste Nachbarschaft konnte vor ihnen nicht sicher sein, also schloss man auch dort Bündnisse und so weiter.

Mit einem Lächeln auf den Lippen hing der Mann seinem Gedankenflug in die Geschichte nach. Das war’s. Genau so würden sie es machen, dachte er weiter. Man muss den Menschen etwas bieten, das einen selbst nichts kostet, für die anderen aber ein hohes Gut darstellt. Gerade so, wie es sich zu jener Zeit mit der verliehenen Reichsvogtei verhielt, die unter dem Schutz des herrschenden Königs stand. Kam es zu Scharmützeln, schickte der Herrscher ein paar edle Ritter und Söldner und hieß sie, den Aufstand niederwerfen. Das taten sie denn auch mit brachialer Gewalt und viel Blut tränkte den Boden, wenn so ein gegnerischer Kampftross aufgerieben wurde.

Wir versprechen ihnen, sinnierte der Mann weiter, den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Wir betonen, wie wichtig uns ihre Mitarbeit ist und wie wenig doch das Unternehmen ohne sie wirklich Wert wäre. Das werden sie schlucken, das ist unsere Reichsvogtei. Wenn es dann soweit ist, sehen wir weiter. In die Zukunft blickende Personalchefs haben nicht ohne Grund den Begriff des Humankapitals geprägt. Humankapital, das ist so etwas, wie Spielermaterial beim Fussball. Das sind entmenschlichte Wesen, die einzig einen bestimmten Zweck zu erfüllen haben. Erfüllen sie ihn nicht mehr, werden sie ausgetauscht, durch anderes Material ersetzt. Sie werden es hinnehmen die heute so hochgelobten Mitarbeiter und ihre Vertreter in den Betriebsräten und Gewerkschaften.

Der Mann liebte seine Philosophie. Sie war unantastbar, wie er fand. Im ersten Schritt versprichst du alles, dann ändern sich die Zeiten und du sagst, ein paar von euch werden gehen müssen, damit die anderen bleiben können. Das kannst du ruhig noch ein, zweimal wiederholen. Sie werden zwar murren, aber sie werden es ertragen. Du sagst, es wird einen Sozialplan geben und du betonst, dass Betriebsräte und Gewerkschaften mit am Tisch sitzen werden. Du erklärst, wie du alles dransetzen wirst, weitere Entlassungen zu verhindern. Aber du weißt es natürlich besser. Du wirst die Personalkosten derart drastisch nach unten fahren, dass es eine wahre Freude für die Aktionäre sein wird, denn die Kurse werden steigen und steigen.

Dann schlägst du unerbittlich zu. Du wirst dem Staat die Schuld geben, wenn er nichts für die vielen Menschen tut, deren Arbeitsplätze du trotz bestem Bemühen nicht mehr halten kannst. Es ist nicht deine Schuld! Es sind die Rahmenbedingungen, die das Unternehmen in die Knie zwingen. Zu viele Abgaben, das sei nicht mehr zu machen, wird du erklären. Krankenkassen, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, freiwillige Leistungen des Unternehmens und schließlich die Steuerlast, damit müsse jetzt Schluss sein, wird du hinausposaunen. Und wieder werden sie auf dein schon so oft erprobtes Gewäsch hereinfallen. Du wirst die Millionen der Politiker nehmen, die ja nicht ihr eigens Geld verteilen. Du wirst mit den Arbeitnehmervertretern wahre Knebelverträge aushandeln. Und am Ende wirst du beinahe unter Tränen bedauern, dass alles nichts genützt hätte, aber das Unternehmen würde schließen oder verkauft werden oder ins Ausland verlagert. Alle hätten es versucht, aber leider …!

Dann wirst du zu Hause über die Dummheit der Beteiligten lachen. Im Vorstand werdet ihr Witze reißen über die Möchtegerne von Politikern, die euch doch nicht das Wasser reichen könnten. Und deine Philosophie wird wie ein Kredo widerhallen, dass alles nur ein Kreislauf sei und nicht Arbeitsplätze vernichtet wären, sondern lediglich Humankapital zurückgeführt worden sei in die Humanresource, woraus nun andere Unternehmen schöpfen könnten. Und du weißt, es ist gelogen. Niemand schöpft! Das entledigte Humankapital bleibt, wo es ist. Und schon bald kümmert es niemanden mehr, ist Gras über die Sache gewachsen. Was schert es dich? Du und das Unternehmen habt euren Profit gemacht und nur das zählt!, denkst du.

Da reisst dich das Telefon aus deinen Gedanken. Noch volltrunken ob des Erfolges vernimmst du erst gar nicht, was die Stimme am anderen Ende sagte. Dann realisierst du es! Langsam tropfen die Worte in dein Gehirn, machen sich breit, erreichen deine Seele, von der du noch bis vor kurzem glaubtest, so etwas gäbe es nur bei Weicheiern und Warmduschern.

Sie haben dich gefeuert! Du bist der Sündenbock! Du …! Deine Philosophie: Hanebüchen! Kalt und herzlos seist du, nicht auf der Stufe der Zeit! Wie man dir überhaupt eine solch gewaltige Aufgabe habe anvertrauen können? Mit sofortiger Wirkung von allen Aufgaben entbunden! Der Aufsichtsrat habe in einer Eilsitzung bereits zugestimmt. Du müsstest verstehen, kein Ausweg möglich, die Bundeskanzlerin höchstpersönlich … !

Da sitzt du nun, ein jämmerlicher Haufen Nichts. Du wirst deine Abfindung kassieren! Das richtet dich wieder auf. Du wirst Geld haben, aber keine Macht. Entsetzlich! Warte es ab, sagt eine innere Stimme, eines Tages brauchen sie dich wieder. Irgendwer hat immer Dreck am Frack und du bist doch der Profi für Dreck! Ein Lächeln umspielt deine Lippen. Morgen bist du schon wieder der Alte!

Das Humankapital nicht! Sie sind morgen nicht wieder die Alten. Die Jüngeren vielleicht, die könnten es schaffen. Die anderen bleiben, rutschen weiter ab. Niemand braucht sie mehr! Oder vielleicht doch? Nur wenig Hoffnung, die sich breitmacht.

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