Am Gymnasium in Dingharting kehrte wieder der Alltag ein, so hatte es jedenfalls den Anschein. Der Lehrer Alexander Denzel verhielt sich seinen Schülern gegenüber erstaunlich aufgeschlossen und schon bald dachte niemand mehr an den Zwist zwischen ihm und Alois Zehetmeier, jenem Schüler, dem Denzel die beiden schmachvollen Niederlagen verdankte.

Denzel wäre aber nicht Denzel gewesen, hätte er nicht insgeheim bereits eine Revanche im Visier gehabt. Er wollte nichts überstürzen und diesmal besonders darauf achten, das dem Alois keine Zeit blieb, ihm wieder einmal eine Retourkutsche zu verpassen. Aber auch der Alois war wachsam, denn er traute dem Frieden schon lange nicht mehr. Der Denzel heckt was aus, des schwör i euch, sagte er zu seinen Freunden.

Dann kam jener Freitag, über den noch lange Zeit in Dingharting gesprochen werden sollte. Es war neblig an diesem Tag und es sah ganz so aus, als würde es die undurchdringliche Suppe von den nahen Bergen herunterziehen. Aber es war anders. Ein nachschiebendes Tief drückte die kalte Luft aus den hohen Lagen mit großer Gewalt ins Tal und verhinderte das Abziehen der Nebelschwaden.

Denzel rieb sich die Hände. Die Bedingungen waren ideal für sein Vorhaben. Eilig verabschiedete er sich nach Schulschluss von den Kollegen im Lehrerzimmer, stürmte aus dem Schulhaus und verschwand im Nebel. Nur Minuten später schon hatte Denzel sein Ziel erreicht.

Alois Zehetmeier und seine Freunde hatten es ebenfalls eilig und wollten die Schule schnell verlassen, um nach Hause zu kommen.  Ein paar Happen in den Mund geschoben, einen Schluck hinterher getrunken und schon waren sie wieder aus dem Haus. Jetzt trugen sie Sportanzüge und man hätte meinen können, sie wären auf dem Weg zum nahegelegenen Sportplatz.  Allerdings wäre bei diesem Wetter jede Art von Sport unmöglich gewesen, und so fand sich auch niemand dort ein.

Der Pfarrer hatte gerade die Sakristei verlassen, um hinüber zu gehen ins Pfarrhaus, das etwas abgesetzt lag. Da sah er  ein paar verschwommene Gestalten, sich ihren Weg durch den dichten Nebel bahnen. Merkwürdig, dachte er noch, wer ist da wohl unterwegs?, und es kam ihm die Geschichte von Heilig Drei König in den Sinn, als man ein paar Ganoven bei Eiseskälte an einer Kastanie am Marktplatz festgebunden hatte. Halb erfroren hatte man sie zur mitternächtlichen Stunde schliesslich in die Kirche geschleppt, von wo sie am nächsten Tag verschwunden waren.

Derbe Methoden haben sie schon die Dinghartinger, um ihre Angelegenheiten zu regeln, dachte der Pfarrer, aber er wusste auch, dass die allermeisten Fälle auf diese Weise als erledigt galten. Sie waren derb, aber nachtragend waren sie nicht, die Dinghartinger. Obwohl, amüsierte er sich gedanklich, für das hiesige Gymnasium galt das nicht immer.

Alexander Denzel beeilte sich, mit wenigen Griffen ein mitgeführtes Seil an einem Zaun zu befestigen, es über den Weg zu legen und mit dem Seilende hinter einem Busch zu verschwinden. Ein kleiner Zug nur mit der Hand und das Seil spannte sich. Niemand konnte es im Nebel bemerken.

Alois Zehetmeier und seine Freunde hatten sich mittlerweile, am Pfarrhaus vorbei, am Marktplatz eingefunden. Sie berieten kurz, ob ihr Vorhaben bei dem vorherrschenden Nebel überhaupt machbar war. Freilich machen wir’s, meinte der Alois und erklärte, warum es so gleich noch viel mehr Spass machte. Und Leut‘ sind auch keine unterwegs, fügte er noch an.

Aus der Ferne tönte das Geknatter zweier oder dreier Mopeds durch den Nebel an Denzels Ohr. Sie kommen!, freute er sich hinter seinem Busch. Aber sie kamen nicht. Das Geknatter erstarb. Zufällig hatte Denzel ein Gespräch belauscht, bei dem der Alois und seine Freunde Pläne für ein Spektakel schmiedeten. Mit ein paar Mopeds wollten sie abwechselnd exakt den Weg hinunterfahren, über den er das Seil gelegt hatte. Der Weg endete an ein paar Stufen, die zu einem Kinderspielplatz hinabführten. Und just diese Stufen wollten sie als Sprungschanze benutzen, um zu sehen, wer mit den Mopeds am weitesten springen würde.

Als nach einigen Minuten des Wartens weder von den Mopeds etwas zu hören war, noch die Burschen auftauchten, wollte Denzel nachsehen, was da los war. Er zog etwas am Seil, wickelte das Ende um einen Stumpf des Busches und eilte den Weg nach oben. Schon bald sah er sie. Denzel pirschte sich näher heran, um zu hören, was vorgefallen war.

Vielleicht ist’s doch besser, wenn wir’s verschieben, hörte Denzel den Alois sagen. A paar Minuten könnt‘ ma noch warten, sagte ein anderer, vielleicht wird’s besser mit dem Nebel. Denzel spürte, das würde nichts mehr werden, denn der Nebel würde sich ganz sicher so schnell nicht auflichten.

Da fasste er einen Entschluss. Blitzschnell würde er auf eines der Mopeds zustürmen, aufsitzen, den Motor starten, und flugs den Weg hinunter fahren, kurz vor der Treppe abspringen und das Moped den Satz in die Tiefe ohne ihn ausführen lassen. Die Burschen konnten dann den zurückgebliebenen Schrott einsammeln.

Denzel überkam eine gewaltige Erregung und nur mit Mühe konnte er verhindern, dass er laut herausbrüllte, so heftig amüsierte ihn die Vorstellung seines Plans. Drei Maschinen standen da, eine davon war mit normalen Tretpedalen ausstaffiert, die anderen mit Kickstarter.

Der Lehrer wartete einen günstigen Augenblick ab, spurtete dann auf ein Moped zu, schwang sich auf den Sitz und trat mit aller Kraft in die Pedale. Knatternd sprang der Motor an und bevor Alois und seine Freunde noch reagieren konnten, war Denzel schon auf und davon.

Die Burschen gestikulierten wild mit den Armen und zeichneten dabei bizarre Muster in den Nebel. So eine Scheiße, ausgerechnet meins, sagte einer der Freunde resigniert. In dem Augenblick hörten sie aus dem Nichts kommend einen fürchterlichen Schrei, dann das Bersten von Blech, dann Ruhe.

Wie auf Kommando rannten sie in den Nebel hinein den Weg entlang, um schon wenige hundert Meter später abrupt zu stoppen. Irgendwo weiter vorne waren schemenhaft Teile des Mopeds wahrzunehmen. Davor lag ein Bündel wimmernder Mensch am Boden. Des is ja der Denzel, brachte Alois stockend hervor. Und einer der Freunde sagte: Schaut’s amal da! Da hat jemand a Seil über’n Weg g’spannt. Sauerei!, rief Alois. A riesen Sauerei is des!

Und einer der Freunde bemerkte: Und dann triffst ausgerechnet den Denzel. Aber warum hat er bloss des Moped klaun woll’n? Ja mei, des versteht kein Mensch, ergänzte der Alois. Dann räumten sie den Schrott weg und kümmerten sich um Denzel.

Fortsetzung folgt!

Foto: Creative Commons-Lizenz, flickr,Meerwolf