Der Hallenbacher Ferdinand ist immer schon nicht g’scheid aus dem Bett gekommen, egal, ob’s in der Früh um sechs war oder eine Stunde später. Must halt früher ins Bett, haben die Eltern oft gemeint. Für den Ferdinand war solches aber undenkbar. Früher ins Bett! Was die Leut‘ sich bloss denken?

Gerade am Abend, nach getaner Arbeit, traf sich die Jugend gern beim Dudler Hans, einer Art Wirtschaft, aber nicht so mit Gastraum und Theke, sondern eher wie ein Standl, mit einem Zeltvorbau. Da standen sie dann, tranken ein Bier und aßen etwas Einfaches dazu.

Diesen Abend war es nicht anders als sonst. Oder vielleicht doch? Die Klausthaler Monika hatte kurz hereingeschaut, dem Ferdinand ein Zeichen gegeben, und war dann schnell wieder verschwunden. Ein paar Minuten später machte sich der Ferdinand auf den Weg.

Unten auf der Wies’n, gleich beim Festzelt, waren sie alle schon versammelt. Dunkel war’s, aber das fahle, kalte Licht des Mondes reichte für ihr Vorhaben gerade noch aus. Sie sprachen nur wenig und es schien, als hätten sie nur noch auf den Ferdinand gewartet. Schnell stapften sie hinüber zu dem vor dem Zelt aufgestellten Festbaum, der, einem Maibaum ähnlich, mit allerlei Girlanden geschmückt und in Abständen von etwa fünfzig Zentimetern mit Stände- und Berufswappen versehen war. Die letzten ganz oben waren kaum noch auszumachen.

Gut, dann hau’n mir jetzt den Stift raus und du treibst den Holzzapfen eini, sagte einer an Ferdinand gewandt. Der nickte bedächtig, kramte in seinen Taschen und zog den Zapfen hervor. Gibt mir einer den Schlegel, sagte er und blickte in die Runde. Da hast ihn, war der Obermeier Rudi zu vernehmen, seines Zeichens Schankkellner.

Einige Burschen stützten den Baum mit langen Stangen, an deren Ende sich Schlaufen befanden, die sich an den Baum anschmiegten. Auf diese Weise konnten sie ihn ganz gut im Gleichgewicht halten. Okay, sagte einer von ihnen, mir ham den Baum, konnst’n außihaun!

Mit einem festen Schlag auf ein Eisen, das an den Stift angelegt war, flog dieser aus seiner Führung. Sofort war der Ferdinand zur Stelle und hieb den Holzzapfen mit drei wuchtigen Schlägen an die Stelle des Stiftes. Es könnt’s den Baum jetzt loslass’n, rief er den Burschen zu. Die taten, wie geheißen. Der Baum bewegte sich kein Jota und stand wie zuvor.

Niemand in der Gemeinde hatte das nächtliche Treiben beobachtet. Die meisten waren längst im Bett, denn morgen, am Samstag, war der große Tag, das Fest zu Ehren des Heiligen St. Korbinian. Niemand wusste auf Anhieb mehr so genau, warum gerade dieses Fest jedes Jahr begangen wurde. Dabei wäre es so einfach gewesen, in der Gemeindechronik nachzulesen, worum es ging. Papst Gregor II hatte Korbinian irgendwann so um 700 herum nach Bayern geschickt, um dieses eigenwillige Volk zu missionieren. Und eben dieser spätere Heilige war just auch hierher an diesen schönen bayerische Ort gekommen.  Und das dankte man ihm seit Generationen mit einem Fest.

Jetzt gab es aber eine Gruppe Andersdenkender, die diese wiederkehrenden Festivitäten als Bigotterie höchsten Ausmaßes betrachteten und einmal ein Zeichen setzen wollten. Meinst net, dass g’fährlich ist, fragte die Klausthaler Monika den Ferdinand. Iwo, sagte dieser nur und setzte hinzu: Jetzt mach dir nur net in d’Hosn, des werd scho!

Am Samstag Nachmittag, pünktlich um 15 Uhr war die Festwiese übersät von Menschen. Von überall waren sie gekommen, um der frommen Rede des Herrn Kardinals zu lauschen, der eigens aus Freising her geeilt war. Selbstverständlich gaben sich noch andere Honoratioren ein Stelldichein. Der Bürgermeister zuvorderst, dann der Landrat und sogar aus der Staatskanzlei in München war jemand angereist. Das Bayerische Fernsehen war vor Ort, wie jedes Jahr und so würde die Kunde des bayerischen Brauches schon bald in aller Welt vernommen werden.

Während nun alle gespannt, manche auch mit der Konzentration etwas kämpfend, den vielen Worten der gesalbten Redner lauschten, pirschte sich Ferdinand an den Festbaum heran, zog einen schweren Feistling aus der Tasche und führte einen blitzschnellen, sauberen Hieb auf den Holzzapfen, der daraufhin in mehrere Teile zerbarst.

Lasst uns denn zum Baume gehen und geweihtes Wasser …., mehr vernahm der Ferdinand nicht mehr von des Kardinals Rede. Schnell und unerkannt machte er sich aus dem Staube und war schon bei seinen Freunden angekommen, als das Desaster seinen Verlauf nahm.

Schwungvoll ergoss der Kardinal das Weihwasser aus einem von einem Adjutanten mitgeführten Kessels mittels eines Feudels über das gläubige Volk. Alle bekreuzigten sich und waren sich des Segens des Herrn gewiss, als es geschah!

Der Festbaum, des Sicherungsbolzens entledigt begann plötzlich mit einem Male kaum wahrnehmbare, winzigste Bewegungen auszuführen. Nur, wessen Augen auf die Spitze des Baumes gerichtet waren, konnte sie überhaupt wahrnehmen. Erst, nur einen Zentimeter vielleicht, nach links, dann nach rechts, um wieder nach links und nach rechts zu wanken. Aus dem Zentimeter wurden zwei und dann sahen sie es alle. Der Baum schwankte! Entsetzt schrie’n die Menschen auf. Aber es war zu spät. Niemand konnte mehr einschreiten, niemand das Unglück verhindern.

Und gerade, als der Herr Kardinal das Lobet den Herrn anstimmte, krachte der Baum mit einem donnernden Getöse mitten auf das Festzelt. Ja, mi leckst, stieß einer der Umstehenden aus und gab damit ziemlich genau die Gefühlswelt der Besucher wieder. Wie paralysiert standen sie vor dem Zelt und sahen, wie dessen Giebel langsam einknickte, um schliesslich zu verharren.

Niemand war zu Schaden gekommen, aber das Fest war natürlich zu Ende. Die Honorigen waren so schnell verschwunden, als seien sie niemals hier gewesen. Und selbst der Kardinal fand statt Worte des Trostes nur seinen Wagen und war in Windeseile entschwunden.

Des kommt von dem ganzen Gedudel und dem heiligem Gefasel. Dass des unserm Herrn da oben net g’fällt, liegt doch auf der Hand, bemerkte einer. Und ein anderer fügte an: Und überhaupt schon, dass da ein Papst  g’meint hat, uns Bayern kunt ma missionieren! Jetzt ham sie’s gseh’n. So etwas is bei uns no nia net guad ganga!

Foto: HKReiter