Um die Geschichte im Zusammenhang wirklich begreifen zu können, ist es von eminenter Wichtigkeit, dass der Leser weiß: sie fußt auf realen Begebenheiten und, was die Psychologie unter Synchronizität versteht.

„Synchronizität“ ist die Gleichzeitigkeit, zeitliches Zusammentreffen von psychischen u. physischen Vorgängen, das kausal nicht erklärbar ist (z. B. bei der Telepathie) – (Nach C. G. Jung -© Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl. Mannheim 2011 [CD-ROM].)

Meine Frau und ich, beide bekanntermaßen aus dem Bayerischen stammend, haben ein neues Zuhause bezogen. Erstaunlicherweise haben sich dabei gewisse Ereignisse ziemlich annähernd ebenso zugetragen, wie sie Waldimar Hinterbrunner in der nun folgenden Tatsachenwiedergabe erlebt hat.

Waldimar Hinterbrunner war stets in seinem Leben ein gewissenhafter Mensch gewesen und so verwundert es nicht, dass man eines Tages in seiner Hinterlassenschaft Aufzeichnungen gefunden hat, die in äußerst präziser Sprache wiedergeben, was er damals, in einer Zeit, als es noch gar kein Handy gab und auch das Wort Computer noch nicht erfunden war, über sich hatte ergehen lassen müssen.

In Adelstein, einem irgendwo in den bayerischen Bergen gelegenen Dorf am Fuße des Domizils des ehrwürdigen Grafen derer von Adelstein war das Auskommen für die dort Lebenden immer schwerer geworden. Seit Jahren zeichnete sich ab, dass die bisher angestammten Berufe sehr bald schon das tägliche Brot nicht mehr einbringen würden. Umwälzende Neuerungen flimmerten am Horizont, aber der Graf, bar jeglicher Vision, sah die Zeichen der neuen Zeit nicht.

Es war nicht seine Schuld, denn niemand hatte es ihm erklärt, ja nicht erklären können, weil sie es selbst nicht sahen. Nicht so der Hinterbrunner Waldimar. Er sah, was den Adeligen der Zeit verborgen war. Wir müssen weg von hier, sagte er deshalb eines schönen Tages zu seinem Weib und dem Gesinde am Hof. Wer will, geht mit, wer nicht, bleibt da!, Punkt und fertig. Waldimar war ein Realist, wie er glaubte, und liebte es deshalb nicht besonders, viele Worte um Unausweichliches zu machen.

Und so geschah es, dass Waldimar Hinterbrunner Hof und Land zu einem annehmbaren Preis verkaufte, was ihm, wie er dank seiner Vorahnung glaubte, später, wenn er auch nur wenige Monate noch gewartet hätte, nicht mehr beschieden gewesen wäre.

Aus der benachbarten größeren Gemeinde war schnell ein Transporteur gefunden, der gegen Bezahlung des Waldimars Hab und Gut zur neuen Bleibe verschaffen sollte. Waldimar und sein Weib sortierten aus, was im neuen Heim nicht mehr vonnöten oder zu gebrauchen wäre und bauten auf das Wort des Transporteurs, das Verbliebene sorgfältig zu verpacken, zügig aufzuladen und alsdann die Reise anzutreten.

Jetzt war es so, dass Waldimar sich ausgerechnet jenseits der Grenzen der Ländereien des Grafen derer von Adelstein niederlassen wollte. Der Transporteur nun, schien, entgegen seiner Beteuerungen, nur sehr wenig Ahnung davon zu haben, was dieser Umstand mit sich bringen würde. Grenzdokumente waren vorzulegen und zwar nicht nur für das mitgeführte Gerümpel, nein, da waren im Voraus auch Steuern zu entrichten für die eigenen Gespanne und, was niemand vorher zu wissen schien, ein Dokument sei verlangt, sagten die Grenzbeamten, das bestätige, dass der Waldimar sich mit Weib und Gut am neuen Wohnort bereits angemeldet habe. Weil Selbiges aber nicht verfügbar war, musste Waldimar gar Bares hinterlegen, das er später gegen Vorlage der verlangten Bescheinigung  wieder zurückerstattet bekäme.

Und so galt es, einigen Aufwand zu betreiben, bis sich schließlich Stunden später der Grenzbaum für Waldimar nebst Gefolge öffnete. Wie gut wäre es, dachte Waldimar noch, wenn es keine Grenzen gäbe und man einfach dahin reisen könnte, wohin einem gerade der Sinn stand. Aber in dieser Hinsicht war Waldimar nicht sehr optimistisch, hatte er doch gehört, dass es Herzogtümer gäbe, die über Aufteilungen und Zuordnungen nachdächten, die zu noch mehr Grenzen und Verwaltungsformalismus führen würden.

Wie praktisch wäre es, war eine weitere Überlegung des Visionärs Waldimar Hinterbrunner, wenn Grenzen, sofern man sie denn unbedingt haben möchte oder brauchte, trotzdem ohne Aufwand, einfach so, zu passieren wären. Sei’s denn, sagte Waldimar zu sich und kümmerte sich darum, die Formalitäten am neuen Wohnort zu erledigen und auch die Bescheinigung, wonach er zum Führen der Gespanne berechtigt war, zu erlangen.

Aber so einfach war das nicht. Es war nämlich so, dass Waldimar für die mitgebrachten Kutschen und Fuhrwerke eine technische Zulassung der neuen, dem Wohnsitz zugeordneten Region beantragen musste, und das, obwohl just diese Fahrzeuge aus eben dieser Region stammten, weil hier gebaut und in alle Welt vertrieben.

Und so ließ Waldimar geduldig Verwaltungsakt um Verwaltungsakt über sich ergehen. Und es würde den Rahmen dieser Kurzgeschichte bei Weitem sprengen, wenn man an dieser Stelle Waldimars gesammelte Aufzeichnungen zur Gänze wiedergäbe.

Beim Lesen kam mir noch in den Sinn, wie es scheinbar schon damals zu Waldimars Zeiten diesen immensen Engpass in den Verwaltungs- und Meldestellen der Landeshauptstadt gegeben haben musste. Denn schon er beschreibt das stundenlange Warten als eine eklatante Zumutung.

So hängen sie zusammen die unabwendbaren Zwänge, bedingen einander und werden zu Ereignissen, wieder und immer wieder. Aber, leben wir nicht im Land der Bürokraten? Wüßten nicht gerade sie, was abzuschaffen wäre? Jetzt, spätestens an diesem Punkt, greift die Synchronizität in den unabwendbaren Ablauf ein.

Das zeitliche Zusammentreffen physischer und psychischer Vorgänge, die kausal nicht erklärbar sind. Jetzt verstehen wir, warum es selbst dann nicht zu Veränderungen (und Verbesserungen) kommen kann, wenn ein  ehemaliger Ministerpräsident um den Abbau der Bürokratie (in Brüssel) bemüht ist (selbst, wenn er aus Bayern kommt). Die Gesetze der Synchronizität sind eben unteilbar, ja, sie verbieten solches Bestreben geradezu. Und deshalb kann ein Bürokrat, weil diesen Gesetzen unterworfen, mehr als alle anderen, niemals sich selbst abschaffen.

Manche Veränderung fördert die Einsicht. Mir ist es so ergangen, dem Hinterbrunner Waldimar schon viel früher! Schade, dass er nicht mehr unter uns weilt.

 

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