Ich fahre über’s Land, halte da und dort und mache schließlich Station an der wunderschönen, blauen Donau. Obwohl, an diesem Tag war sie eher grün. Grade so, als wollte das gemächlich dahinziehende Nass mir sagen, dass nicht alles so ist, wie es scheint.

Um 15:00 Uhr bin ich mit Landrat, …nein, ich soll seinen Namen nicht erwähnen, sagt er, weil, so führt er aus, dies für ihn und vielleicht sogar seine Partei nicht zuträglich wäre. Heute noch nicht…, fügt er hinzu.

Wir sitzen in einem netten direkt am Flussufer gelegenen Cafe. Nur Wenige haben den Weg hierher gefunden, so bleiben wir etwas abseits und sind ungestört.

Wie soll ich Sie denn ansprechen?, beginne ich vorsichtig.

Hubert, nennen Sie mich einfach Hubert, einer meiner beiden Vornamen.

Also, Hubert, fahre ich fort, ich habe Sie um dieses Gespräch gebeten, weil ich über ihre persönliche Einstellung zu manchen Dingen gehört habe und herausfinden will, wieso Sie nicht einfach zur Tat schreiten.

Sie spielen auf meine Kritik am bestehenden Gesundheitswesen an?

Ja, zum Beispiel, entgegne ich und beuge mich leicht nach vorne, gespannt. Was wird er mir antworten?

Sehen Sie, führt Hubert aus, und ich unterbreche ihn mit keiner Silbe, denke sogar daran, das Atmen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Ihn nur jetzt nicht ablenken, ihm nicht mehr Raum als nötig verschaffen!

Sehen Sie, wiederholt er, viele Menschen machen sich enorm viele Gedanken über unsere Gesundheit und über alles, was dazu gehört. Sie reden über Renten und Krankenkassen, jetzt neuerdings sogar über eine Respektrente. Was bitte soll das sein, eine Respektrente? Respekt gegenüber dem Staat, dass er trotz geringer Beiträge eine höhere Rente bezahlt? Respekt gegenüber dem, der sie bekommt und annimmt, weil, er könnte sie auch ablehnen? Respekt für die Lebensleistung oder Arbeitsleistung des Rentenempfängers, sagt der Minister, und meint damit, dass es Anerkennung verdient, wenn jemand 35 Jahre gearbeitet und einbezahlt hat. Er wird nebulös, wenn danach gefragt, was mit jenen ist, die nur auf 34 oder gar nur auf 30 Jahre kommen und ich ergänze: Was ist mit jenen, die 40 und mehr Jahre einbezahlt haben? Ist deren Lebensleistung relativ gesehen jetzt weniger Wert, weil ihre Rente ja nicht erhöht werden soll.

Es ist, wie dieses Beispiel zeigt, vieles vielleicht gut gemeint, aber schlecht durchdacht. Dies könnte aber einfach durch etwas mehr Nachdenken gelöst werden und vielleicht auch durch mehr Kommunikation mit anderen.

Was würde Sie denn vorschlagen, wende ich ein.

Wir lösen Probleme nicht, wenn immer nur partiell Bereiche herausgegriffen werden. Man muß den Menschen doch zum Beispiel erläutern, was sie als Rentenempfänger aus der erhöhten Rente bezahlen sollen. Entfallen dafür etwa Zuwendungen des Staates, die sie bisher erhaltenen haben, denken Sie nur an Beiträge zur Krankenkasse oder Mietzuschüsse? Zahlen sie nunmehr eine höhere Einkommensteuer, weil ihr Einkommen größer geworden ist? Was netto übrig bleibt, das sagt der Minister nicht!

Wissen Sie, der Staat gibt und der Staat nimmt und nur, wenn die Differenz deutlich positiv ausfällt, dann bringst es dem Rentner etwas. Andernfalls, linke Tasche, rechte Tasche.

Sie haben von partiellen Bereichen gesprochen. Wie meinen Sie das?, schiebe ich nach.

Das Leben der sogenannten und viel strapazierten ‚Kleinen Leute‘ läuft doch im Grunde nicht viel anders ab, als das eines jeden anderen Menschen auch. Nur wirtschaftlich, finanziell auf einem niedrigeren Niveau, als das anderer, die mit Geld nicht knapsen müssen. Sie müssen wohnen, brauchen Kleidung, brauchen Nahrung, müssen angemessen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, brauchen eine Krankenversicherung, brauchen später eine auskömmliche Rente und, damit das alles funktioniert und die Menschen ihr Selbstwertgefühl nicht verlieren: Sie brauchen Anerkennung und zu aller erst eine angemessen bezahlte Arbeit.

Und überall da krankt es?, frage ich und lasse bewußt leisen Zweifel durchklingen.

Ja, selbstverständlich, schauen Sie sich doch nur um. Wird nicht immer wieder auf die schlecht bezahlten Jobs unserer Gesellschaft hingewiesen? In den Nachrichten, bei jeder Talkshow, bei allen Wahlveranstaltungen und so weiter?

Ja, das schon, füge ich ein, aber konkret, wie wollen Sie es lösen?

Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel herausgreifen, bevor ich zu einem Denkanstoß komme. Haben sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wieviele Millionen Beamte aus Gemeinden, Ländern und dem Bund heute und in der nahen Zukunft ihre Pensionen aus dem Steueraufkommen erhalten werden? Jawohl, aus dem Steueraufkommen, denn sie leisten im Gegensatz zu den Rentnern keine Beiträge in eine Pensionskasse, habe ich recht? Warum reden wir ständig davon, dass die Jungen die Rentner durchfüttern müssen, nicht aber auch zusätzlich die Beamten und die Abgeordneten, die Minister und Staatssekretäre und sofort? Und die Würdenträger der zwei Kirchen in unserem Land, auch diese Herrschaften erhalten ihr Salär vom Staat. Warum ist es eigentlich so abwegig, wenigsten darüber zu diskutieren, ob fortan nicht alle, und ich meine wirklich alle, in die Sozialsystem einzahlen müssen, wie dies in anderen Ländern längst Usus ist?

Sie sprechen de facto von einem Systemumbau. Was sind Sie? Ein Sozialist, ein Kommunist?, funke ich dazwischen.

Nein, nichts von beidem. Ich bin ein Verfechter der sozialen Marktwirtschaft, erlaube mir aber darauf hinzuweisen, wo die soziale Komponente in Schieflage geraten ist. Und weil das so ist, braucht es Korrekturen und zwar sehr schnelle Korrekturen, andernfalls wird den politischen und gesellschaftlichen Führungskasten über kurz oder lang das Heft des Handelns aus der Hand genommen und zwar von anders Denkenden, die die angesprochenen Probleme zwar nicht werden lösen können, aber mit Sicherheit Chaos und Unfrieden, und was man heute gerne als Spaltung der Gesellschaft bezeichnet, noch vermehren werden.

Und Ihre Ideen, Ihre Lösung oder Ihr Denkanstoß, wie Sie es bezeichnet haben?, lege ich nach.

So ist es, Sie haben das Privileg der Jugend: Immer schnell voran, immer das Messer in der Wunde. In den sechziger Jahren gab es mal so etwas wie eine konzertierte Aktion. Alle am Wirtschaftsleben Beteiligten einschließlich der Gewerkschaften wurden zu einem Gesprächsforum zusammengenommen. Und genau so eine Aktion, eine konzertierte Aktion mit den maßgeblichen Beteiligten am heutigen gesellschaftlichen Leben muß im ersten Schritt mit einer Bestandsaufnahme beauftragt werden. Im zweiten Schritt müssen daraus Ziele, konkrete und auch erreichbare Zeile, formuliert werden, die zur Verpflichtung der jeweils Regierenden in Bund, Land und Gemeinde werden.

Ein interdisziplinärer Club quasi?, hake ich nach.

Ja, nennen Sie es von mir aus so, interdisziplinärer Club, dem Vertreter der Parteien, gesellschaftlichen Verbände, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften angehören. Und zwar deren jeweilige Führungseliten, damit es weder eine Flucht noch ein Herausreden geben kann. Und sie müssen liefern, wie man heute sagt. Liefern, weil sie dazu verdonnert sind, Kraft eines politisch, gesellschaftlichen Konsens. Wie, so frage ich Sie, sollen wir sonst neben der sehr persönlichen Betroffenheit jedes Einzelnen etwa die Großen Ziele Klima, Energie und Umwelt angehen? Seien Sie Realist: Die Grünen alleine werden das nicht schaffen können, selbst dann nicht, wenn sie sich immerfort in allem einig wären. Es gibt einfach zu viele Interessenlagen, auch und gerade bei den Grünen. Da sind sie nicht viel anders als die anderen Parteien.

Und wie soll das gehen?, frage ich.

Es gibt so etwas wie eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Immer mehr Kräfte werden die hierfür erforderliche Einsicht entwickeln. Wenn nicht…, ich habe es vorhin angedeutet. Ereignisse finden statt, ob uns das gefällt oder nicht. Digitale Revolution, viele reden davon, nur wenige haben eine Vorstellung davon, was sie bedeutet, was auf uns, auf die Gesellschaft, auf die Arbeitswelt, auf die Wirtschaft zukommt, Globalisierung, auch hier gilt das eben Gesagte. Aus all dem entstehen Zwänge, denen wir uns nicht entziehen können, auch die politischen und gesellschaftlichen Führungseliten, die Wirtschaft eingeschlossen, werden das erkennen oder sind schon dabei, es zu erkennen.

Ist Ihre Prognose, wie soll ich sagen, eher düster oder sehen Sie ein Licht am Horizont?

Keinesfalls! Wenn wir es hinbekommen, und ich habe keinen Zweifel, dass dies aus den dargestellten Gründen auch gelingen wird, haben wir doch alle Möglichkeiten offen, eine neue, den veränderten Verhältnissen angepasste Gesellschaft zu entwickeln! Und dazu gehören wir doch alle, nicht wahr? Also sind wir alle gefragt. Alle, Sie und ich und jeder! Lenken wir unseren Blick auf die leidigen Themen Arzttermine, Krankenhaus, Pflege. In dieser Reihenfolge, weil dann besser deutlich wird, wie eines zum anderen gehört, ja, sich gegenseitig bedingt. Sie wollen zum Arzt, sind in der gesetzlichen Krankenkasse und hören folgende Antworten: Es tut uns sehr leid, aber unsere Aufnahmekapazität für neue Patienten ist erschöpft oder bei akuten Problemen wenden Sie sich bitte an den ärztlichen Notdienst oder gehen direkt in ein Krankenhaus oder sie erhalten einen Termin Wochen später. Wären Sie privat versichert gewesen, hätten Sie, falls nötig, noch einen Termin am selben Tag bekommen. Wirtschaftlich Abwägungen haben den Vorrang! Uns so geht es weiter im Krankenhaus. Privat versichert und sie erhalten ein Einzelzimmer, eine bessere Verpflegung und selbstverständlich Chefarztbehandlung. Als Kassenpatient steht Ihnen diese Wahl selbstverständlich nicht zur Verfügung. Und schließlich zur Pflege: Früher oder später wird nahezu jeder einmal Pflege zuhause benötigen oder in einem Heim landen. Wer genug dafür bezahlen kann, wird entsprechend weniger Probleme haben, das Richtige zu finden. Das ist aber nicht das eigentliche Problem. Das Problem liegt in der Dominanz der betriebswirtschaftlichen Hoheit in Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Wieso kann es sein, dass ein Controller mehr Entscheidungsbefugnisse besitzt als der medizinische Leiter der Einrichtung. BWL wird Sie nicht gesund machen! Hier werden wir nur über einen gesellschaftlichen Konsens Änderungen bewirken. Sehen Sie an diesem Beispiel, wie nötig es ist, an manchen Stellen die menschliche, die soziale Komponente vor betriebswirtschaftliche Überlegungen zu stellen? Was machen wir aber, wenn der zuständige Minister die Meinung vertritt, unser Versicherungssystem sei doch in Ordnung und das beste in der Welt? Richtig, dann werden Sie nicht erwarten, dass er daran etwas Grundlegendes verändern wird. Oder warum sind Medikamente bei uns im Land um einiges teuerer als im benachbarten Ausland? Richtig, weil der zuständige Minister auch daran nichts ändern will. Mir jedenfalls sind hierzu keinerlei Überlegungen bekannt geworden. Oder wieso kann es sein, dass Sie als Patient immer wieder gesagt bekommen, es gäbe etwas Besseres, aber die Kasse würde es nicht bezahlen? Es sei denn, Sie sind eben privat versichert. Niemand wird solches in Ordnung finden, Sie vermutlich auch nicht oder sollte ich mich irren? Also wird es auch hier für die nötigen Veränderungen gesellschaftlichen Konsens geben.

Ich war einigermaßen verblüfft. Ich hatte schon einiges von ihm, den wir hier Hubert nennen, gehört, aber ich hätte nicht gedacht, mit welcher Konsequenz er seine Ideen vorträgt. Ich werde ihn, unseren Hubert, weiter verfolgen, werde darauf achten, mit welchen Ideen und Programmen die politischen Parteien uns umgarnen oder gewinnen wollen, mit welchen Ideen die Wirtschaft punkten will und an welcher Stelle etwa Gewerkschaften und Sozialverbände ihren Beitrag leisten werden.

Und ich werde darauf achten, wieviel Hubert ich darin wiederfinde!

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