Jeder merkt es, kennt den Wandel, spürt, wenn die Zeit auf Weihnachten zueilt. Nicht jeder, könnte man mit Fug und Recht einwenden, aber solcherlei Betrachtungen haben hier und jetzt keinen Platz.

Der November zieht auf. Herbststürme begleiten ihn, bunt gefärbte Blätter fallen von Busch und Baum, der erste Schnee ist nicht mehr fern und doch hindern warme, laue Föhnlagen ihn an manchen Tagen, seine weiße Last ins Land zu tragen.

Das Licht ist anders. Entlaubte Bäume ragen wie schwarze Finger in den wolkenverhangenen Himmel. Unwirklich scheint die Ferne unsere Sinne zu verwirren. Nahe rücken die Berge vor, wir sehen es mit eigenen Augen, bis an die Grenzen der Stadt. Die Sonne bahnt sich ihren Weg und warmer Wind streicht säuselnd uns durchs Haar.

Erster Advent, nur noch wenige Tage, Punsch wird angerichtet, es riecht nach Zimt, die Zeit vor Weihnachten hat begonnen.

Friedlich wollen es die Menschen nunmehr haben. Am liebsten mit Schnee, so wie in der Kindheit, wie es die Alten gern erzählen. Aber er kommt nicht mehr so regelmäßig wie früher. Die Leute in den Bergen blicken sorgenvoll in den Himmel. Ohne Schnee keine Fremden und ohne diese kein Verdienst.

Da nützen auch die teuer angeschafften Schneekanonen nichts, meint der Bürgermeister. Mit grimmigem Blick durch die Fenster nicken die Frauen und Männer des Gemeinderates. Vielleicht wird es ja noch, hoffen sie.

Gäbe es nicht die Handvoll zwielichtigen Gesindels, das immer und überall wie auf Kommando aus dem Nichts hervorquillt. Plötzlich sind sie da. Niemand hat sie gerufen und niemand will sie haben. Und trotzdem, wie in jedem Jahr, werden sie ihr Unwesen auch diesmal treiben. Stehlen auf den Weihnachtsmärkten aus Taschen, Körben, Mänteln und Jacken, alles, was ihnen gerade so in die Finger kommt. Ja selbst an den Türen der Häuser machen sie nicht Halt und tricksen mit allerlei Gaunereine den Menschen das Geld aus dem Beutel.

Das lassen wir uns nicht mehr bieten, sagt der Bürgermeister und fordert den Polizeiposten auf, sich etwas einfallen zu lassen.

Aber, was kann man schon dagegen tun? Das Gesetz ist streng, jedoch nicht jedermann ist gleich ein Hallodri, bloß weil er anders aussieht, ein Fremder ist, in einer anderen Sprache spricht oder sich verhält, wie kein Einheimischer es jemals tun würde.

Wir machen es anders als bisher, schlagen die Polizisten vor und erläutern ihren Plan.

Aufmerksamen Beobachtern würden vielleicht die Pärchen und jungen Leute nicht entgehen, die vereinzelt durch das Dorf streichen, da und dort unvermittelt stehen bleiben, etwas notieren oder ein Foto schießen.

Indessen treffen sich in einer Scheune am Ortsrand unbemerkt ein paar Männer und Frauen. Es ist schon spät am Nachmittag und das diffuse Licht reicht kaum mehr aus, um ihre Gesichter auszumachen. Sie sprechen wenig, scheinen einander aber zu kennen.

Nur wenige Minuten später stößt ein Mann zu der Gruppe, dessen Gesicht hinter der breiten Krempe eines Hutes verborgen bleibt. In einer fremdländisch klingenden Sprache spricht er leise auf die Leute ein. Das war für unsere beiden Neuen, sagt der Mann, und wiederholt dann alles noch einmal auf Deutsch.

Unbeschwert gehen die Menschen im Dorf ihren Verrichtungen nach. Freundliche Worte fegen über Straßen und Plätze, während Gemeindediener und Helfer der freiwilligen Feuerwehr darangehen, den Weihnachtsschmuck anzubringen.

Natürlich und wie jedes Jahr wird diese ehrenvolle Arbeit von so Manchem mit einem Schnaps belohnt. Kein Wunder also, dass die Stimmung immer ausgelassener wird und am Ende alle froh sind, als die Arbeit getan ist. Der Chauffeur des Leiterwagens hat selbstverständlich nicht einen Tropfen angerührt.

Am nächsten Wochenende ist es soweit. Die Buden des Christkindelmarktes stehen zum größten Teil schon und es wird gehämmert und gesägt, um auch das letzte Teil noch rechtzeitig anzubringen.

Im Dienstzimmer des Polizeipostens findet eine letzte Besprechung statt. Also dann, sagte der Diensthabende, ihr wisst, was zu tun ist!

Zeitig am Morgen, bevor die Buden und Standl ihre Waren, Schmausereien und Getränke feilbieten, finden die Leute aus der Scheune sich eben dort  wieder ein. Auch der Mann mit dem Hut stößt dazu, erteilt letzte Anweisungen, um sich dann grußlos zu entfernen.

Er mag vielleicht so an die zweihundert Meter auf der Dorfstraße in Richtung Marktplatz unterwegs gewesen sein, als plötzlich hinter einer der Buden zwei Junge Männer hervortreten und ihm den Weg versperren. Nicht so eilig, sagt einer von ihnen. Gehetzt blickt der Mann sich um, aber auch hinter ihm stehen zwei Burschen und ihre Gesichter sagen: Lass es bleiben, du entkommst uns nicht.

Etwa eine viertel Stunde später, nachdem der Mann die Scheune verlassen hatte, macht sich auch die Gruppe auf den Weg. Sie gehen jeweils alleine, ganz so, als würden sie sich nicht kennen, aber doch so nah beieinander, dass ein schnelles Eingreifen, wenn nötig, möglich wäre. So machten sie das immer und der Mann mit dem Hut hatte es ihnen noch einmal eingebleut, von dieser Taktik um Gottes Willen niemals abzuweichen.

Gottes Wille schien ihnen an diesem Morgen nicht gewogen, denn schnell waren sie von jungen Frauen und Männern eingekreist, die keinen Zweifel an ihrer Absicht aufkommen ließen.

Unterdessen hatte der Christkindelmarkt nach einer kurzen Rede des Bürgermeisters nebst musikalischer Unterstützung durch den Trachten- und Musikverein den Betrieb aufgenommen und schon sehr bald waren Platz und Straßen von den Besuchern überfüllt.

Später war im Regionalanzeiger zu lesen, dass es in diesem Jahr so gut wie keine Diebstähle gegeben hatte. Auch Hausierer wurden nicht ausgemacht. Allsamt also ein friedlicher Verlauf, grad so, wie die Leute am Land es schätzen.

Der Bürgermeister bedankte sich bei seiner Polizei und den freiwilligen Helfern der benachbarten Polizeischule der Bayerischen Bereitschaftspolizei. Das haben wir doch gern gemacht!, sagten sie und nahmen mit großer Freude die Einladung eines Gaswirtes aus dem Dorf an.

Die Gauner und Hallodris aus der Scheune mit samt ihrem Anführer ließ man wieder laufendenn bevor sie noch etwas Unrechtes hätten tun können, waren sie von den Polizeischülern ja schon aus dem Verkehr gezogen worden. Lasst euch hier nimmer blicken, gab man ihnen noch mit auf den Weg. Und am besten gleich gar nicht im ganzen Gau, ergänzte der Diensthabende noch.

Allerdings darauf verlassen wollte die Polizei sich nicht und verschickte Warnungen an alle Polizeidienststellen im Landkreis mit Namen und Personenbeschreibung der Aufgegriffenen.

 

Foto: Creative Commons Lizenz, flickr, tj.blackwell