Niemand lebt mehr, der Zeugnis über Adele Spitzeder ablegen könnte.

Als Adele am 9. Februar 1832 das Licht der Welt erblickte, hätte keiner der illustren zur Taufe geladenen Gäste dieser so lieblich blinzelnden Erdenbürgerin auch nur im Ansatz ein verbrecherisches Talent zugeschrieben.

Feine Herrschaften hatten sich eingefunden, handelte es sich doch nicht um irgendeine Taufe, sondern immerhin um das Kind der Eltern Josef Spitzeder und Betty Vio, beide hinreichend bekannte Opernsänger.

Später verbrachte Adele einige Jahre im Gefängnis. Was war geschehen? Zusammen mit einer Freundin hatte sie ein Schneeballsystem entwickelt. Gutgläubige Menschen zahlten gegen das Versprechen hoher Zinserträge Geld ein, Adele nahm Kredite auf, baute das System immer weiter aus, und verfügte auf diese Weise irgendwie über ausreichende Mittel, die zugesagten monatlichen 10% auch tatsächlich auszahlen zu können, zumindest solange das System funktionierte.

Was aber halt mit solch schönen Modellen immer passiert, so auch mit Adeles, der Knall kam, Adele wurde verhaftet, ihr Kreditinstitut, bekannt als Die Dachauer Bank, geschlossen. Tausende waren geschädigt. Ihr blinder Glaube an Adele, dazu Adeles großzügiger Lebensstil,  das Engagement für die Armen und, nicht zuletzt, die Gier nach schnellem, leicht verdientem Geld, waren letztlich für das Desaster verantwortlich.

Es gäb‘ noch sehr viel Interessantes über Adele Spitzeder und die damaligen Lebensumstände zu berichten, aber dann käme der Kriminalfall, der uns aktuell beschäftigt, zu kurz, führte ein leitender Kriminaldirektor anläßlich eines Vortrages im LKA München aus.

Ein Kreis von Spezialisten war zusammengekommen, um darüber zu beraten, wie man am besten gegen die zunehmende Anzahl von Abzockern im Internet vorgehen könne, die, ganz dem Vorbild Adele Spitzeder folgend, den Menschen mit falschen Versprechungen das Geld aus der Nase zogen.

Meistens werden zweihundertfünfzig Euro als Einlage verlangt, mit dem Quasi-Versprechen verbunden, daraus sozusagen über Nacht tausende zu generieren. Alles mit Hilfe einer Software, die angeblich irgendein dubioser Mensch entwickelt hat, und die nunmehr allen zur Verfügung stehen soll, wenn er eben nur wenigstens die Mindestsumme einzahlt. Andere arbeiten mit Binäroptionen oder Bitcoins. 

Draufzahlen tun immer die Anleger, bemerkte einer der Teilnehmer. Und was dabei noch besonders ins Gewicht fällt, sagte ein anderer, der Schutz des Internets, die Anonymität macht es beinahe unmöglich, diesen Leuten das Handwerk zu legen. Die sitzen irgendwo auf der Welt, meinte der Direktor, bevorzugt in Ländern, wo sie straffrei völlig ungestört ihre perfide Masche immer weiter verfeinern können.

Hin und her wogten die Beiträge und Argumente, aber konnten sie, immerhin  die Polizei, tatsächlich etwas dagegen unternehmen?

Ist das nicht Sache der BaFin oder in der Schweiz beispielsweise der FINMA?, wollte einer aus der Runde wissen.

Verbraucherschutz, das stimmt schon, gehört zu deren Metier, sagte der Direktor, aber wir sprechen in unserem Fall von illegalen Geldmarktaktivitäten, die vom Ausland aus auf unserem Territorium betrieben werden. Da sind schon wir gefragt!

Am Abend zerstreute sich der exklusive Zirkel, um am nächsten Tag pünktlich um acht Uhr die Arbeit wieder aufzunehmen.

Wichtige und weitreichende Regeln wurden beschlossen. Ich fasse zusammen, sagte der Direktor zum Abschluss, wir setzen ein Spezialteam ein, dessen Aufgabe darin besteht, das Internet kontinuierlich auf illegale Finanzdienstleister hin zu scannen, also solche, die keine BaFin-Zulassung besitzen. Die gravierendsten filtern wir heraus und leiten in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren ein. Gleichzeitig werden speziell ausgebildete Beamte undercover versuchen, in das Gefüge solcher Organisationen einzudringen. Ziel ist es, im ersten Schritt, die großen Player zu zerschlagen. Noch Fragen?

Eine geheime Organisation hatte ihre Arbeit aufgenommen. Ausgegliedert in die Orleansstraße waren sie direkt einem Oberstaatsanwalt mit weitreichenden Befugnissen unterstellt.

Niemand erfuhr davon. Die eingesetzten Mitarbeiter hielten dicht. Auch die ausgebufftesten unter den Enthüllungsjournalisten wussten nichts. Ihre sonst so hervorragend sprudelnden Quellen waren an dieser Stelle versiegt.

Bis auf einen winzigen, eigentlich kaum zu entdeckenden Vorgang schien es tatsächlich so, als wäre alles paletti.

Eines sonntags fuhr Kriminalkommissar Klaus Hagenauer am Vormittag aufs Land. Hagenauer liebte das querfeldein Radeln. Das Wetter spielte mit, typisch bayerisches Weiß Blau am Himmel. Nach Berg am Starnberger See nahm er einen schmalen Weg zur Linken, der ihn hinauf nach Aufkirchen führte.

Hagenauer fuhr konzentriert; er wußte, wie schnell ein unfreiwilliger Abstieg das Resultat von Unachtsamkeit im Gelände sein konnte. Vorbei am Kloster mit seinem majestätischen Kirchturm wollte er gerade auf einen Trampelpfad einbiegen, als er ihn sah. Zuerst nur schemenhaft, dann in voller Größe. Kein Zweifel, er war es.

Was ihn aber mehr irritierte als der Umstand, diesen Mann hier in diesem ländlichen Ort anzutreffen, war das Begleitszenario. Er winkte jemandem zu und stieg in den vor einem pompösen Haus geparkten Wagen, einen Austin Martin.

Das war der Punkt. Wie kann jemand in seiner Gehaltsklasse einen solchen Wagen fahren? Dieser Gedanke nagte an Klaus Hagenauer. Dann war er schon vorbei und strampelte weiter nach Icking.

Hagenauer wäre nicht Polizist gewesen, hätte er sich das Kennzeichen nicht gemerkt. Kannst du für mich eine Halterfeststellung machen, fragte er einen Kollegen übers Handy, den er von verschiedenen Lehrgängen her kannte und in der Maillinger Straße schon oft zusammengearbeitet hatte. Ich komm‘ grad nicht dazu, bin unterwegs. 

5 Minuten später kannte er Namen und Anschrift des Halters: Brigitte Lebeneiner, Agnesstraße, nicht weit vom Elisabethmarkt. Wie die Dinge halt so spielen, war Hagenauers Jagdtrieb jetzt so richtig entflammt.

Es war nicht schwer, herauszufinden, dass Brigitte Lebeneiner eine geborene Kronthaler war und just die Schwester von…, nun, er mochte es immer noch nicht so recht glauben.

Fährt also dieser Herr mit dem Auto seiner Schwester durch die Lande?  Nein, entfuhr es Hagenauer. Die liebe Schwester besitzt zwei Fahrzeuge, einen VW Golf und eben diesen Austin Martin. Ergo, der Austin gehört ihm, die Schwester ist nur Strohmann.

Fein säuberlich brachte Kriminalkommissar Klaus Hagenauer die Ergebnisse seiner Beobachtungen und Recherchen zu Papier. Wie mache ich es? Hagenauer war nicht so naiv, anzunehmen, alle wären ihm wohl gesonnen, wenn er nunmehr die Bombe platzen lassen würde. Also, warte ich noch ein wenig!

Monate später: Das Kernteam und der Direktor erörterten heiß, woran es liegen mochte, dass ihnen eine der Hauptfiguren immer wieder durchs Netz schlüpfen konnte. Egal, wie sie es auch anstellten. Er war entweder schon weg oder erst gar nicht eingereist. Seine Methoden gewannen an Präzision, waren zweifelsfrei dreist, aber ausgefeilt, das musste man ihm lassen. Schwer zu knacken!, meinte der Direktor.

Ich müsste sie mal kurz sprechen, sagte Klaus Hagenauer, als die Sitzung zu Ende war. Fünf Minuten später zog Hagenauer seine Notizen aus der Tasche und schob sie dem Direktor über den Tisch. Ich glaube, daran liegt’s, dass wir ihn nicht kriegen!“

Der Direktor studierte Zeile für Zeile. Vieles hatte Hagenauer mittlerweile zusammengetragen. Es gab nur einen Schluß: Sie meinen, er steckt dahinter, ist einer der Köpfe, die wir eigentlich jagen?

Drei Tage später wußte es jeder. Die Medien posaunten es hinaus, mehrfach am Tag und in der Nacht.

Oberstaatsanwalt Kronthaler suspendiert! Seine eigenen Sonderermittler kamen ihm auf die Spur! Die Beweise sind erdrückend!

Klaus Hagenauer, jetzt Kriminalhauptkommissar, wurde vorsorglich in einen anderen Dienstbereich und an einen anderen Ort versetzt.

 

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