Ohne Moos nix los. Zwei Raubmörder aus dem Donaumoos (ª)

Eduard Gänswürger (1843-1873) und Ferdinand Gump (1844-1873) begannen nach ihrer gemeinsamen Volksschulzeit in Karlskron (Lkr. Neuburg-Schrobenhausen) 1860 eine Schreinerlehre bei Paul Heckersmüller in Reichertshofen (Lkr. Pfaffenhofen a. d. Ilm). Während Gänswürger anstatt zu arbeiten lieber mit Johann „Christlhannes“ Schneider aus Winden zum Wildern ging, nahm Gump die Sache ernst. Doch schon bald schloss sich auch Gump den beiden an. Nachdem Gänswürger am 11. Juni 1869 wegen schweren Diebstahls zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, wilderten Gump und Schneider weiter. Zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts begingen die beiden zahlreiche größere und kleinere Einbrüche und Diebstähle. Als Gänswürger am 23. September 1872 die Flucht aus dem Münchner Landgerichtgefängnis an der Baaderstraße gelungen war, beging er zusammen mit Gump wieder zahlreiche Überfälle. Am 10. Oktober 1872 überfielen sie den Pfarrhof von Oberlauterbach und erpressten dort unter Androhung von massiver Gewalt das Geldversteck des Pfarrers. Am 11. Dezember 1872 überfielen sie auf der Distriktsstraße bei Meilenhofen (Lkr. Kelheim) die drei Bauern Franz Xaver Gruber, Josef Ettmüller und Franz Ullinger. Bei diesem Überfall, der dem Bargeld der Bauern galt, wurden Gruber und Ettmüller erschossen, Ullinger schwer verletzt.“

Schwer atmend klatschte Ferdinand Weißmüller den Kehlheimer Kurier auf den Tisch. Da! Kannst es schwarz auf weiß nachlesen. Sein Gegenüber, kein geringerer als sein Spezi, der örtliche Polizeiposten Georg Haberdinger, erwiderte mit einem skeptischen Blick: Ja, aber des is doch no lang kein Beweis! Ungläubig schüttelte der Ferdinand den Kopf und sagte, immer noch ganz ausser Atem, als hätte er soeben einen tausend Meter Lauf hinter sich gebracht: Eduard Gänswürger, steht’s da oder net? Ja, freilich, schon, aber des reicht halt net aus, wiederholte der Georg seine Bedenken.

In der Gemeinde Brunnharting war seit geraumer Zeit nichts mehr so, wie es früher einmal gewesen ist. Die Kriminalpolizei aus Kehlheim stöberte bald jeden Tag irgendwo herum, befragte die Leute und hinterließ einen faden Geschmack von Mißtrauen. In einem Schuppen hinter der Kiesgrube, gleich, wo es zur Donau runterging, hatten ein paar Halbwüchsige die Leiche eines Mannes gefunden. Sie waren dort in den Flussauen mit ihren Mopeds herumgefahren, hatten dabei die Hütte entdeckt und, neugierig, wie junge Burschen halt sind, nachgesehen, ob es da nicht etwas Interessantes gäbe.

Das war jetzt schon der zweite Tote in Brunnharting, beide ermordet, wie die Zeitung schrieb.  Einer mit einem schweren Gegenstand erschlagen, der andere mit einem Bajonett oder Ähnlichem von hinten erstochen. Scheinbar gab es keinen Zusammenhang, jedenfalls tappte die Polizei im Dunklen.

Haben wir net in der Schule den Friesinger Alois immer damit gefrotzelt, dass seine Mutter eine gebürtige Gänswürger ist? Gänswürger – ich könnt‘ heut noch brüllen!  Ist ja kein Name, der besonders oft vorkommt, oder was meinst?, insistierte der Ferdinand und schob, wie zur Bestätigung dessen, was er gerade gesagt hatte, seinen Oberkörper herausfordernd über den Tisch.

Was willst jetzt, dass ich machen soll?, fragte der Georg seinen Freund, obwohl er sehr genau wusste, was dieser von ihm verlangte. Ferdinands Theorie war einfach und, das konnte Georg nicht absprechen, auch irgendwie nicht ganz von der Hand zu weisen. Den Friesinger Alois hatten sie schon lange nicht mehr gesehen – soll verreist sein, hatte jemand gemeint – und der Ferdinand hatte sich dann etwas in seinem Kopf zurechtgelegt. Was, hatte er gesagt, ist, wenn da ein Nachfahre der damals im Donaumoos ermordeten Bauern anfängt, sich auszutoben, quasi Rache übt und einen nach dem anderen der Gänswürger- und Gump-Nachkommen  umbringt?

Das sei schon sehr weit hergeholt, hatte er gemeint, aber vielleicht hatte der Ferdinand recht und er, Georg Haberdinger, sollte der Kriminalpolizei tatsächlich diesen Hinweis geben. Immerhin wäre es ja denkbar, dass der Friesinger Alois der Erschlagene sein könnte, denn vom Gesicht des Toten war nicht sehr viel übrig geblieben – so stand es jedenfalls in der Zeitung. Grausig, das Ganze, sagte der Georg, nickte dem Ferdinand zu und fuhr fort: Ist in Ordnung, ich mach’s, ich ruf die Kriminaler an.

Der Ferdinand war zufrieden, lachte jetzt sogar, und meinte, dass sich die beiden Freunde nun doch noch eine Mass bestellen könnten. Als die Resi das Bier brachte, meinte sie noch lachend: Ich hab‘ scho‘ denkt, ihr zwei Hitzköpf‘ könnt’s euch heut gar net einig werden. 

Es sei eine durchaus interessante These, beschied man dem Georg bei der Kriminalpolizei und man wolle dies und das überprüfen. Aber etwas Konkretes sagten sie nicht und wenn der Georg gedacht hatte, die Kriminaler würden jetzt hier im Ort ihre Ermittlungen verstärken, so sah er sich enttäuscht. Nichts geschah.

Dann müssen wir halt selber etwas unternehmen, wenn die feinen Herrn aus der Stadt nix tun, war Ferdinands lapidare Feststellung. Nur was, fragte sich Georg. Er war ein Dorfpolizist und wusste gar nicht, wie er einen Mordfall oder deren sogar mehrere hätte aufklären sollen. Ist doch gar net so schwer, meinte der Ferdinand und erklärte, dass sie doch nur herausfinden müssten, ob in der Gegend irgendein Nachfahre der damals ermordeten Gruber und Ettmüller oder des Ullinger leben würden. Du bist doch bei der Polizei, da wirst des doch machen können?, sagte der Ferdinand und ließ keine Zweifel darüber aufkommen, dass es ihm ernst damit war.

Also quälte der Georg seinen Computer in der Dienststelle, startete Abfragen bei verschiedenen Meldebehörden, zapfte polizeiinterne Informationsdateien an und bemühte schließlich sogar noch die Geburtenregister der Standesämter und die Taufregister der Kirchen. Am Ende lag vor ihm eine Liste, wo überall im ganzen Landkreis verstreut Personen mit den gesuchten Namen zu finden wären. Ob diese allerdings allesamt von den damals getöteten abstammten, war damit nicht geklärt. Und, noch schlimmer, Georg sah auch keine Möglichkeit, sich wirklich Klarheit über diese Tatsache zu verschaffen. Er war eben kein Ahnenforscher.

Weißt, versuchte er, es dem Ferdinand zu erklären, alleine durch die Kriege seit damals sind Register verloren gegangen, Frauen haben geheiratet, manche von ihnen sogar mehrmals, und haben die Namen der Männer angenommen, Männer sind in den Kriegen verschollen und so weiter. Da kommst zu keinem Ende!

Ganz besessen von seiner Idee, fluchte der Ferdinand ob des soeben Gehörten leise vor sich hin. Und wenn wir einfach auf’s Geratewohl den paar Namen auf deiner Liste nachgehen? Der Georg schüttelte den Kopf und meinte, dass sie das nicht weiterbrächte. Wir können die Leut‘ ja schlecht einfach fragen, ob sie vielleicht jemanden ermordet hätten oder sie gar überwachen, wie im Kino. Schlag dir das aus dem Kopf!

Während die beiden so vor ihrem Bier saßen und hin und her überlegten, wie sie die Sache angehen könnten und ihr Verdruss immer mehr zunahm, als sie erkannten, dass sie die Taten nicht werden aufklären können, war von ihnen auch das Getümmel in der Gasstube unbemerkt geblieben.

Mit einem großen Hallo klopften sich einige Männer an einem der Nachbartische auf den Rücken, schüttelten sich die Hände und waren schier außer Rand und Band. Wir wollten dich schon suchen lassen. Wo bist den g’wesen?, fragte einer aus dieser Runde.

Jetzt erst registrierten die beiden Freunde, dass einer der Männer winkte und ihnen etwas zurief. Erst schemenhaft, dann immer klarer drang das Konterfei des Mannes in ihre vernebelten Gehirne. Kein Zweifel! Dort am Tisch: der Friesinger Alois!

Wir haben die Leichen identifiziert, sagte der Kriminaler am Telefon. Ein Zufall, bemerkte er noch, alles wissen wir zwar noch nicht, aber es sieht nicht so aus, als hätten die beiden Fälle mit einander zu tun. Wie gesagt: ein Zufall!

(ª)Auszug aus dem Historischen Lexikon Bayerns – Kriminalfälle (19./20. Jahrhundert)

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